„Spannungsfeld Gedenkstättenarbeit in einer sich wandelnden Gesellschaft“

Workshopangebote aus dem Programm „Jugend erinnert“

Das Projekt „Spannungsfeld Gedenkstättenarbeit in einer sich wandelnden Gesellschaft“ wurde durch das Förderprogramm „Jugend erinnert“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien initiiert. Es handelt sich dabei um ein Tandemprojekt der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld und der Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Düsseldorf.

Die Projektkoordination übernahm die Leiterin der NS-Dokumentationsstelle Krefeld, Sandra Franz. Für die Umsetzung waren die wissenschaftlichen Mitarbeitenden Daniel Simon (NS-Dokumentationsstelle Krefeld) und Milena Rabokon (Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf) zuständig. Der Projektzeitraum erstreckte sich vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022.

Unterstützung gab es zudem durch den Fachbereich Migration und Integration der Stadt Krefeld. 

Stellen neue Workshops vor: (von links) Astrid Hirsch-von Borries und Milena Rabokon von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Sandra Franz und Daniel Simon, NS-Dokumentationsstelle Krefeld. Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof
Stellen neue Workshops vor: (von links) Astrid Hirsch-von Borries und Milena Rabokon von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Sandra Franz und Daniel Simon, NS-Dokumentationsstelle Krefeld. Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof

Vier kostenfreie Workshopangebote

Kern des Projekts war die Konzeption der folgenden vier Workshops, mit städtespezifisch unterschiedlichen Inhalten für Krefeld und Düsseldorf, die auf Grundlage intensiver Recherchearbeit Themen aufgreifen, welche in der lokalen Gedenkstättenarbeit bisher nur selten im Fokus standen, junge Menschen mit innovativen Zugängen für die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus ansprechen und den Weg für zukünftige Kooperationen mit außerschulischen Zielgruppen ebnen sollen: 

Diese Workshops gibt es:

Eine breite Zielgruppe steht im Vordergrund

Die Workshops richten sich beispielsweise gezielt an Sportvereine, Jugendzentren, städtische Auszubildende, Angestellte, landesweite Institutionen und Integrationszentren. Dabei sollen außerdem interessierte Personen angesprochen werden, die durch herkömmliche Zielgruppen wie Schulen nicht direkt erreicht werden können und für die bislang keine spezifischen Angebote zum Thema existieren. Aber auch innerhalb von Schulklassen, die bereits verstärkt zum Thema Nationalsozialismus gearbeitet haben, ermöglicht die Vielfalt der Perspektiven und Zugänge neue Blickwinkel.

Zudem soll durch das Projekt die Erinnerungskultur lebendig gehalten und der Dialog über die Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart nachhaltig gefördert werden.

Die Durchführung der Workshops findet in der NS-Dokumentationsstelle Krefeld und der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf statt. Die Termine müssen dort abgestimmt werden. 

„Nur für Arier“?
Sport im Nationalsozialismus

Der Workshop „Nur für Arier“? – Sport im Nationalsozialismus richtet sich vorrangig an Turn- und Sportvereine. Im Mittelpunkt steht die biografische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Verfolgung lokaler Amateursportler:innen. Anhand von Dokumenten, Fotos und Interviews mit Zeitzeug:innen untersuchen die Gruppen die Rolle des Sports in der NS-Zeit. Welche Möglichkeiten hatten Sportler:innen, die in der NS-Zeit als jüdisch verfolgt wurden, in Krefeld sportlich aktiv zu sein, nachdem diese aus den Vereinen ausgeschlossen wurden? Welche Turn- und Sportvereine durften überhaupt in Krefeld nach 1933 existieren?

Ein Beispiel, das im Rahmen des Workshops näher betrachtet wird, ist die Biografie von Werner Samuel. Während er Zwangsarbeit leisten musste, sollte er aufgrund eines angeblichen Diebstahls im Arbeitslager gehängt werden. Dass die Ermordung im letzten Moment verhindert wurde, lag sehr wahrscheinlich nur daran, dass die Lagerleitung Gefallen an seinem Hintergrund im Boxsport fand und ihn zum eigenen Vergnügen gelegentlich gegen ausgewählte Gegner boxen ließ.

Auf der Fährte
„Unangepasste“ Jugendliche in der NS-Zeit

Der Workshop Auf der Fährte – „Unangepasste“ Jugendliche in der NS-Zeit zielt auf die Kooperation mit Jugendzentren ab. Im Fokus steht das Leben Jugendlicher während des Nationalsozialismus als auch in der Gegenwart. Gemeinsam wird im Workshop thematisiert, wie jugendliche Selbstfindung und das Ausleben von Individualität in der NS-Zeit möglich waren oder aber verfolgt wurden. Während des Workshops lösen die Teilnehmer:innen in Kleingruppen Rätsel und entschlüsseln Codes. Ihre Ergebnisse stellen sie schließlich an Orten vor, die themenspezifisch in den ausgewählten Biografien von großer Bedeutung waren.

So begeben sich die Kleingruppen unter anderem auf die Spuren einer Schießerei zwischen „unangepassten“ Jugendlichen und Hitlerjungen oder aber auch auf die Fährte eines jungen Mannes, der als Gründer der Krefelder „Totenkopfedelweißpiraten“ galt und der nicht zuletzt auch wegen regimekritischer Lieder in das Fadenkreuz der Gestapo geriet.

„Rädchen im Getriebe“?
Schreibtischtäter*innen in der NS-Zeit

Der Workshop „Rädchen im Getriebe“? – Schreibtischtäter*innen in der NS-Zeit zielt auf die Zusammenarbeit mit Ausbildungsstätten im Verwaltungsbereich ab. Dabei wird die zu Teilen immer noch vorhandene Vorstellung schuldfreier „Schreibtischtäter:innen“, die lediglich „ihre Arbeit getan haben“, kritisch hinterfragt, und das Spannungsfeld zwischen eigener moralischer Verantwortung und Pflichterfüllung betrachtet. Während des Workshops ist es das Ziel, die Teilnehmer:innen für das Thema Verwaltung im Nationalsozialismus anhand von lokalen Biografien zu sensibilisieren und die Rolle sowie den Einfluss des Verwaltungswesens bei der Verfolgung und Diskriminierung von Menschen in der NS-Diktatur zu verdeutlichen. Ferner bietet das Bildungsmaterial zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für Diskussionen zu gegenwärtigen Themen.

In Krefeld steht dabei in erster Linie die Auseinandersetzung mit Täter:innen und Verfolgten des örtlichen Finanzamts, der Gestapo Außendienststelle sowie des Gesundheitsamts und Erbgesundheitsgerichts im Fokus. Dabei richtet sich der Blick beispielsweise auf Franz Klaholt, der das Krefelder Gesundheitsamt bis 1945 leitete und sich maßgeblich an der Verfolgung sogenannter „erbkranker“ oder „schwachsinniger“ Menschen beteiligte, jedoch bis zu seinem Tod 1958 nie gerichtlich belangt wurde. 

„Was hat das mit mir zu tun?“
Flucht und Migration in der NS-Zeit

Während des Workshops „Was hat das mit mir zu tun?“ – Flucht und Migration in der NS-Zeit wird den Teilnehmer:innen aufgezeigt, aus welchen Gründen Menschen in der NS-Zeit auswandern oder fliehen mussten. Es wird besprochen, welche Bedeutung es hatte, seine Heimat plötzlich verlassen zu müssen. Anhand von lokalen Biografien wird verdeutlicht, welche Hindernisse es gab, darunter Einreisebedingungen anderer Länder, das Beantragen von Dokumenten und Reisepässen, finanzielle Probleme oder auch die häufige Angewiesenheit auf die Hilfe von Fremden. Die Teilnehmer:innen halten ihre Ergebnisse abschließend in einem selbstgestalteten Daumenkino fest.

Eine der Biografien, mit der sich die Teilnehmer:innen beschäftigten, ist die von Ilse Strauss., geb. Gimnicher. Sie hielt ihre Gedanken bereits als Jugendliche in Tagebucheinträgen fest und musste 1939 ohne ihre Eltern und ihren Bruder nach London fliehen. Letztendlich wurde sie bis ins hohe Alter als „Chronistin der Familie“ bekannt, die die Lebensgeschichten ihrer Familie eindrücklich festhielt.