Öffnungszeiten: Mittwoch 9 bis 14 Uhr und jeden vierten Sonntag 14 bis 17 Uhr; eine Stunde vor und nach Veranstaltungsbeginn, sowie nach Vereinbarung.
Erinnerungskultur zwischen bürgerschaftlichem Engagement und professioneller Gedenkstättenarbeit.
Sind Gedenkveranstaltungen noch zeitgemäß? Hat die etablierte Erinnerungskultur angesichts des Rechtsrucks in der Gesellschaft versagt? Wie kann die pädagogische Arbeit in den Gedenkstätten den neuen Herausforderungen begegnen?
Diese Fragen standen neben der Vorstellung der örtlichen „Gedenklandschaft“ im Mittelpunkt des diesjährigen Riga-Symposions, bei dem zum siebten Mal Vertreter aus den im Riga-Komitee zusammengeschlossenen Städten in Deutschland, Österreich, Tschechien und Lettland zusammenkamen.
Gastgeber war diesmal die Stadt Hannover, deren Oberbürgermeister Belit Onay die Teilnehmer in der „gute Stube“ der Stadt, dem schlossähnlichen Neuen Rathaus empfing. Gleich zu Beginn griff Tagungsleiter Dr. Jens Binner, Leiter des ZeitZentrumZivilcourage, die drängenden Fragen auf und gab einen Überblick über die Ansätze in seiner Stadt. Zum Auftakt besuchte die Gruppe die Wanderausstellung: „Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im besetzten Lettland“ (Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte). Diese sehr umfangreiche und hochwertige Ausstellung beleuchtet alle wichtigen Aspekte des Themas und wurde an zentraler, hochfrequentierter Stelle in der VHS Hannover gezeigt.
Die Erkundung der vielfältigen „Gedenklandschaft“ in und um Hannover ermöglichte sodann hochinteressante Einblicke in die lokale Aufarbeitung der NS-Geschichte.
Als wichtiger Industriestandort war die Stadt Hannover auch ein Zentrum der Zwangsarbeit. Noch heute bekannte Firmen wie Continental Reifen, Bahlsen, Pelikan, HANOMAG u.a. unterhielten während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Arbeitslager mit insgesamt ca. 60.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus mehreren Ländern. Sie stellten damit 40 % aller Arbeitskräfte in Hannover.
Die Gruppe besuchte zwei Gedenkorte, welche mit der Firma Continental in Verbindung stehen. In den Lagern Ahlem und Limmer (beides Außenlager des KZ Neuengamme) wurden insgesamt ca. 2000 Menschen gefangen gehalten und zur Arbeit gezwungen. In Ahlem waren es jüdische Häftlinge aus Auschwitz (vorwiegend polnische Juden aus dem Ghetto Lodz), welche die vorhandenen Asphaltstollen im Stadtteil Ahlem ausbauen sollten (Herausholen von weggesprengtem Gestein mit Schaufeln und Loren, z.T. im knietiefen Wasser). Die Todesrate in diesem Lager war durch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen besonders hoch; mehrfach wurden Häftlinge aus Auschwitz „nachgeliefert“. Ziel war die Verlagerung von Produktionsstätten der Conti unter die Erde zum Schutz vor Bombenangriffen. Hierzu kam es nicht mehr, das Lager wurde im am 6. April 1945 aufgegeben, die noch lebenden gehfähigen Häftlinge auf einen „Todesmarsch“ nach Bergen-Belsen geschickt. 200 kranke Häftlinge blieben sich selbst überlassen und am 10. April 1945 durch Soldaten der US-Armee befreit, zu denen auch der spätere US-Außenminister Henry Kissinger gehörte.
Das Frauen-KZ Limmer, in Sichtweite des Conti-Stammwerkes, diente der Produktion von Gasmasken durch die Firma Continental. Festgehalten wurden hier v.a. weibliche Häftlinge aus Frankreich und Polen, welche einen Bezug zum Widerstand hatten. Am Ende drängten sich fast 1000 Frauen in den für 500 Menschen konzipierten Baracken. Einige der Frauen wurden auch zum auswärtige Arbeitseinsatz bei der Hannoverschen Brotfabrik AG („Harry-Brot“) abkommandiert. Auch dieses Lager wurde im April 1945 geräumt, die Gefangenen auf einem Todesmarsch nach Bergen-Belsen geschickt und die zurückgelassenen Kranken durch die US-Armee befreit. Es gab zahlreiche Todesfälle vor und nach der Befreiung.
Die Schaffung und Gestaltung der heutigen Gedenkorte Ahlem und Limmer geht ausschließlich auf die Initiative Hinterbliebener und die jahrelange hartnäckige Arbeit engagierter Bürger zurück; nach und nach unterstützt von der Stadt Hannover, nicht jedoch von der Firma Continental. Diese entschloss sich erst weit nach der Jahrtausendwende zur Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit, und öffnete in diesem Zuge auch ihre Archive für die Arbeit der engagierten Hannoveraner Bürger.
Deutlich anders die Situation in der Gedenkstätte „Jüdische Gartenbauschule Ahlem“. Gegründet 1893 durch einen jüdischen Bankier, diente sie der Ausbildung jüdischer Kinder und Jugendlicher (auch sog. „Pogromwaisen“ aus Osteuropa) im Gartenbau, ab 1933 auch der Vorbereitung auf die Emigration. Auch zwei Krefelder Schülerinnen waren für ein Jahr hier: die Schwestern Helga und Carla Ingeborg Zander. Sie kehrten 1940 nach Krefeld zurück und wurden 1942 nach Izbica deportiert.
Seit Dezember 1941 nutzte die Gestapo das Gelände als Gefängnis und Sammelstelle für die jüdische Bevölkerung vor ihrer Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager. Der Ort ist seit 1987 Gedenkstätte, bekam 2014 einen Neubau und bietet neben einer modernen Dauerausstellung auch ein breites pädagogisches Angebot.
Die gilt auch für das ZeitZentrumZivilcourage, dessen Name bewusst ohne NS-Bezug gewählt wurde. Es versteht sich vor allem als „interaktiver Lernort“ und dokumentiert in einer modern gestalteten Dauerausstellung die NS-Geschichte Hannovers. Insgesamt 20 Mitarbeiter betreuen die zahlreichen Schüler- und Jugendgruppen. Schwerpunkt ist die Arbeit mit Biographien. Wichtige Impulse im Hinblick auf die eingangs gestellten Fragen zur Zukunft der Erinnerungskultur brachte der dortige Vortrag mit anschließender Diskussion von Dr. Elke Gryglewski, Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen, welche zuvor im Haus der Wannseekonferenz in Berlin für die Neukonzeption der Dauerausstellung verantwortlich war. Sie verwies zunächst auf die hohen Erwartungen der Politik an die Gedenkstätten angesichts des Rechtsrucks in der Gesellschaft – ein 2-stündiger Besuch solle vollständige „Läuterung“ nach rechts abgedrifteter Jugendlicher bringen! Folgende spezifische Aufgaben der Arbeit in den Gedenkstätten stehen ihr zufolge unter den veränderten heutigen Bedingungen im Mittelpunkt:
– auf die Diversität der Gesellschaft achten
– Gegenwartsbezüge herstellen
– Ortsbezüge herstellen
– Auseinandersetzung mit „Täterschaft“
– „Design für Alle“: die Angebote müssen sehr breit aufgestellt werden
– innovative, partizipative Formate einbeziehen
– in die Gesellschaft hineingehen: die zivilgesellschaftliche Vernetzung der Gedenkstättenarbeit ist entscheidend für die Wirkung „in der Fläche“
– Netzwerke schaffen, die einzelnen Institutionen nicht überlasten
Die teilnehmenden „Praktiker“ der Gedenkstättenarbeit betonten besonders, dass passive/rezeptive Formen des Erinnerns in der Regel an der Zielgruppe der Jugendlichen vorbeigingen oder sogar Ablehnung auslösten. Zentral ist daher ihre Einbeziehung als Akteure, Gestaltende. Es ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Anforderung eines würdevollen Gedenkens im Sinne der Opfer und deren Angehörigen auf der einen und der Öffnung für neue, bisweilen sehr unkonventionelle Formen auf der anderen Seite. Dieses aufzulösen ist Aufgabe aller Akteure im Bereich der Erinnerungskultur – so das Fazit dieser spannenden Veranstaltung.