Schweigegang und Kundgebung in Krefeld gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit am 17. November 2023

Anlässlich eines immer häufiger zutage tretenden offenen Antisemitismus – auch hier in Krefeld – luden die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Krefeld, die christlichen Kirchen in Krefeld, der Villa Merländer e.V. und die Arbeitsgemeinschaft Krefelder Bürgervereine ein zu einem Schweigegang durch die Fußgängerzone der Innenstadt bis zum Rathausplatz, wo eine öffentliche Kundgebung in Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde stattfand. 

Es sprachen:
Elisabeth Töpfer-Pattberg, Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Krefeld
Oberbürgermeisters Frank Meyer
Sandra Franz, Leitung der NS-Dokumentationsstelle Krefeld
Salih Tufan Ünal, Vorsitzender der Türlischen Union Krefeld e.V.
Zum Abschluss wurde ein ökumenisches Friedensgebet geleitet durch Frau Superintendentin Dr. Barbara Schwahn und Herrn Regionalvikar Dr. Thorsten Obst durchgeführt.

Nachfolgend die Worte, die Sandra Franz stellvertretend für das Team der NS-Dokumentationsstelle und des Villa Merländer e.V.  gesprochen hat:

Ich kann es kaum fassen, dass wir immer noch hier stehen und sagen müssen: Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit haben hier keinen Platz. Ich kann nicht fassen, dass das immer noch nicht selbstverständlich ist.

Ich kann nicht fassen, dass wir immer noch darauf hinweisen müssen, dass bestimmte Bilder grundlegend antisemitisch sind und man, wenn man sie verwendet, auf jahrhundertealte Propaganda reinfällt.

„Juden haben zu viel Macht.“

„Juden bringen für ihre Zwecke Kinder um.“

„Juden vergiften Brunnen.“

„Juden kontrollieren die Weltöffentlichkeit.“

Diesen Quatsch haben wir schon im Mittelalter vorgefunden, über das 19. Jahrhundert, besonders akzentuiert in der NS-Zeit und auch heute wieder in neuem Gewand –  heute wird in der Regel von Israel statt „den Juden“ gesprochen, aber die Gedanken sind dieselben, da sind wir wenig originell.

Und wenn als jüdisch gelesene Menschen, deren Häuser beschmiert werden, die angespuckt und beschimpft werden, dann auch noch gefragt werden, ob sie wirklich Antisemitismus in ihrem Alltag erleben, dann ist klar, dass nicht verstanden worden ist, dass Antisemitismus ein internalisiertes Weltbild ist, in dem jüdische Menschen als angeblich privilegiert und mächtig gesehen und seit Jahrhunderten mit denselben Vorwürfen und Feindbildern konfrontiert werden. Die Ereignisse seit dem 7. Oktober haben mehr als deutlich gezeigt: der Antisemitismus ist in diesem Land lebendig wie eh und je. Dieses Feindbild ist Jahrhunderte alt und hat sich in seiner Form immer wieder angepasst. Der Umweg über Israel ist heute besonders oft anzutreffen, wenn antisemitische Äußerungen getroffen werden – sowohl bewusst als oft auch unbewusst. Z.B. wurde ihnen angedichtet, bewusst Kinder für Rituale zu töten und ihr Blut zu trinken oder in geheimen Gruppen Kriege zu organisieren. Wo diese Bilder mit der Interpretation der israelischen Politik überlappen, handelt es sich um aktuell besonders häufig auftretende Formen von Antisemitismus. Wenn z.B. Israel als besonders böse, intrigant oder hinterlistig beschrieben wird. Oder wenn die Rede von „Kindermörder Israel“ ist: Kinder sind weltweit unverhältnismäßig oft Opfer von Kriegen und immer besonders tragisch, aber bei keinem anderen Land gibt es einen vergleichbaren Vorwurf. Hier kann man trennen: die Absicht der Aussage und der Empörung mag nicht ursprünglich antisemitisch gewesen sein. Aber die Aussagen lösen bei Betroffenen Urängste aus und führen dazu, dass Juden und Jüdinnen sich nicht mehr sicher fühlen.

Wenn Menschen mit der Komplexität von Sachverhalten nicht umgehen können, beziehen sie extreme Positionen, dann brauchen sie Sündenböcke. Und dann greift man gerne auf altbekannte Muster zurück.

Wenn Menschen „Free Palestine from german guilt“ brüllen, hat dies nichts mit Menschenrechten zu tun, sondern ist eine Schuldabwehr und damit antisemitisch. Hier geht es vor allem darum, Deutschland von historischer Verantwortung zu befreien und damit letztendlich sich selbst. Dieses Verhalten ist besonders vulgär und perfide: die Personen präsentieren sich als explizit progressiv, sind aber Teil der rechtsextremen Schuldkult-Parolen-Bubble und gefährlich für jüdisches Leben in Deutschland. „Endlich“ ungenierter Judenhass mit „gutem Gewissen“. Zusätzlich wähnt man sich damit auf der „richtigen“ Seite. Besonders perfide wird dies, wenn dieselben Menschen im nächsten Atemzug eine Verschärfung des Asylrechts fordern und sich weiterer Feindbilder bedienen.

Es sei Zeit, einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen – ein ganz klassisches Argument des Post-Shoah-Antisemitismus. Die Erinnerung an NS-Verbrechen wird abgelehnt oder bagatellisiert. Ändere Israel seine Politik, dann werde auch der Antisemitismus weniger so die Argumentation – eine reine Täter-Opfer-Umkehr. Schuld am Antisemitismus seien dieser Argumentation nach Juden selbst oder der Staat Israel. Daraus würde jedoch folgen, dass die nicht-jüdische Welt nur auf die dämonisierte Politik Israels reagiere: Hamas Terroristen wären demnach angeblichen Freiheitskämpfer gegen zionistische Unterdrücker oder Menschen in Europa äußerten sich mit „Israel-Kritik“ aus einer angeblich aufgeklärten kritischen Perspektive, die sich aber in Wahrheit uralter antisemitischer Bilder bedient. Und dabei in ihrer Argumentation komplett aus dem Blick verliert, dass der aktuelle Konflikt deutlich älter ist als die aktuellen Regierungen.

Auch Israel hat zweifelsfrei hoch problematische Handlungen an den Palästinenser:innen zu verantworten. Man kann und muss aber empathisch über das Massaker vom 7. Oktober sprechen können, ohne dies mit Verweis auf Israel zu relativieren. Hier wurde ein Massaker an Zivilisten verübt, keine Unterdrückung kann einen Massenmord an Zivilbevölkerung rechtfertigen.

Eine humanitäre Antwort auf die Situation der Zivilbevölkerung in Gaza ist notwendig. Aber eine Unterstützung der Hamas ist dabei keine Lösung – nichts über die Terrorherrschaft der Hamas verbessert die Situation der Zivilbevölkerung.

Warum rufen pro-palästinensische Demos nicht eigentlich auch: Nieder mit Hamas? Nieder mit Hamas, die den Menschen dieses furchtbare Leid eingebrockt haben. Die Hamas hat die Menschen in Gaza nicht gefragt, ob sie diesen Krieg wollen. Warum rufen sie nicht: Lasst die Kinder frei? Kleine Kinder, die in Gazas Kellern gefangen gehalten werden.

Man muss übrigens nicht pro Hamas sein, um sich für Palästinenser:innen einzusetzen. Die Gruppen sind nicht identisch! Man kann auch für die afghanische Zivilbevölkerung sein, ohne pro Taliban zu sein.

Die Wut über den Terror darf nicht zu Dehumanisierung von Menschen führen, die nur noch als Repräsentanten einer Gruppe gesehen werden. Antisemitismus und Rassismus können keine Antworten aufeinander sein. Und es muss zwingend möglich sein, Empathie für Opfer auf allen Seiten zu fühlen, ohne dabei eine Position für eine Seite zu beziehen. Und vor allem muss ganz klar sein: Feindlichkeit einer Gruppe gegenüber aufgrund deren Religion oder Nationalität ist niemals – in keinem Szenario – gerechtfertigt. Niemals ist jetzt – das haben wir uns in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten als Mantra immer wieder gesagt. Die Frage ist heute, im Jahr 2023, ob wir verstanden haben, was das bedeutet.

 

 

 

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