NS Dokumentationszentren in NRW

„Widernatürliche Unzucht“. Verfolgung nach § 175 in Krefeld zwischen 1933 und 1945

Isabel Rheims, Freie Mitarbeiterin der NS-Dokumentationsstelle Krefeld, präsentiert die Ergebnisse ihrer Bachelor-Arbeit

Wer durch Krefeld geht, kann an fünf Stellen Stolpersteine entdecken, die in den letzten Jahren für Menschen verlegt wurden, die aufgrund von Vergehen gegen § 175 durch das NS-Regime verfolgt wurden. Das ist nur ein kleiner Anteil derer, gegen die die Krefelder Gestapo und Kripo ermittelte. Schätzungsweise wurden in Krefeld knapp 200 Menschen Gegenstand von Ermittlungen. Doch wer waren diese Menschen, wie sah queeres Leben zwischen 1933 und 1945 in Krefeld aus und wie gerieten die Verfolgten in den Fokus der Ermittlungsbehörden?

Homosexuelle Handlungen nach 1871

Seit 1871 standen homosexuelle Handlungen zwischen Männern nach §175 des Reichsstrafgesetzbuches unter Strafe, allerdings wurden nach 1879 nur sogenannte beischlafähnliche Handlungen bestraft. Während der Weimarer Republik wurde die Existenz einer queeren Szene geduldet, zu Ermittlungen kam es meistens nur nach Denunziationen. Queeres Leben fand in dieser Phase öffentlich und sichtbar statt, nicht nur in der Hauptstadt Berlin, davon zeugen verschiedene Vereine und Verlage. In Krefeld scheint es ab 1924 eine Ortsgruppe eines größeren queeren Dachverbandes gegeben zu haben, die bis mindestens 1930 existierte.

Die Nationalsozialisten verschärften die Repressionsmaßnahmen

Ab Februar 1933 begann das NS-Regime, eine schrittweise Verschärfung der Repressionsmaßnahmen gegen queere Menschen einzuleiten. Zunächst wurde gegen die Sichtbarkeit queerer Subkultur in der Öffentlichkeit vorgegangen, dann wurden nach und nach rechtliche Bedingungen geschaffen, die eine Systematisierung der Verfolgung bedeuteten und sich gegen Individuen richteten. Kripo und Gestapo waren für die Ermittlungen wegen Vergehen nach §175 verantwortlich. Zu den Ermittlungsinstrumenten gehörten Denunziationen, Wohnungsdurchsuchungen, das Abfangen von Post, struktureller Einsatz von Gewalt bei Verhören und das Offenhalten bekannter Szeneorte. Lichtbildkarteien fanden Verwendung, um eine szeneinterne Anonymität zu durchbrechen. Konkurrenz und Kooperation zwischen Kripo und Gestapo erzeugte ein Spannungsfeld, dass eine intensive Repression gegen Beschuldigte bedeutete. Nach §175 wurden nicht nur Menschen verfolgt, die einvernehmliche Beziehungen mit Erwachsenen eingingen oder die sich nicht einer binären Geschlechterordnung entsprechend verhielten, sondern auch Personen, denen Übergriffe an Kindern und Jugendlichen oder Exhibitionismus vorgeworfen wurde. Das machte Gewalt und Verfolgung queerer Menschen propagandistisch legitimierbar, um das ideologische Konstrukt einer deutschen Volksgemeinschaft zu schützen. Homosexualität wurde anschlussfähig für Vorurteile und Hetzte gegen weitere verfolgte Personengruppen. Inwiefern queere Frauen Opfer der Verfolgung durch das NS-Regime wurden, ist unter Historiker*innen umstritten.

Radikalisierung der Verfolgung von Queeren

Eine Radikalisierung der Verfolgungsmaßnahmen lässt sich für Krefeld anhand der überlieferten Gestapo-Akten nachzeichnen. Die Selbstauflösung queerer Vereine, Verbote queerer Publikationen und Maßnahmen gegen die queeren Szenen in umliegenden Metropolen wie Köln und Düsseldorf nahm Betroffenen die Möglichkeit, sichtbar zu bleiben und sich zu organisieren. Eine Verschärfung des §175 1935 bewirkte, dass die Gestapo bei geringerer Beweislage gegen Beschuldigte ermitteln konnte, und mehr Menschen strafrechtlich belangt wurden. Zudem führten weitere Verschärfungen, wie die Ausweitung der Zwangskastration und -sterilisation, und die 1941 geschaffene Möglichkeit, mehrfach Belangte als sogenannte Berufsverbrecher in Konzentrationslager zu verschleppen, auch in Krefeld zu tiefen Einschnitten in Biografien. 

 

Die Arbeit ist hier einsehbar. Teile Ihrer Forschung finden sich auch als Basis in der neuen Dauerausstellung der NS-Dokumentationsstelle Krefeld, die momentan geplant wird. Weitere Informationen dazu gibt es hier.

Das gibt es sonst noch Neues in der Villa Merländer: