
2025 muss die Villa Merländer wegen Umbauarbeiten für einige Monate schließen. Ab sofort ist das Haus für den Besuchsverkehr nicht zugänglich. Über den Termin der Neueröffnung informieren wir zeitnah.

Von Christiane Willsch
„Diese Reaktion fasziniert mich ganz besonders“, so Historikerin Irene Feldmann. „Da kommt das Verbot und die Verfolgung – und dann werden die Glaubensangehörigen erst so richtig aktiv.“ Bezug nimmt die Historikerin auf den „Offenen Brief“, der auch in Krefeld in einer Nacht- und Nebelaktion am 20. Juni 1937 verteilt wurde und zu vielen Verhaftungen und in der Folge KZ-Internierungen führte.
Die Geschichtswerkstatt Aurel Billstein der IG Metall hatte zu einem besonderen Stolpersteinrundgang eingeladen: Im Mittelpunkt standen die Opfer der Zeugen Jehovas, die auch in Krefeld verfolgt wurden und denen bisher fünf Stolpersteine gewidmet sind. Ein ausführlicher Dokumentationsband über den Widerstand der Krefelder Gemeinschaft war Ende vorigen Jahres von der Geschichtswerkstatt herausgegeben worden – „der Rundgang ergänzt die Buchveröffentlichung“, erklärte Historikerin Irene Feldmann. Auch die teilnehmende Sandra Franz, Leiterin der Villa Merländer, unterstützt die Aufarbeitung des Schicksals dieser ehemals vergessenen Opfer.
Die Zeugen Jehovas, bis 1931 als „Ernste Bibelforscher“ bekannt, waren in Krefeld als kleine Gemeinde von etwa 25 Mitgliedern präsent – „sie zeichneten sich durch große Solidarität aus und enge Verbindungen reichten zu den Nachbargemeinden“. Durch die Weigerung des Hitlergrußes, jedweder Unterstützung des Krieges – was zu Todesurteilen wegen Kriegsdienstverweigerung führte –, war die Glaubensgemeinschaft schon früh Verfolgungen ausgesetzt. Aus ihrem christlichen Verständnis heraus folgten sie weder dem verordneten Antisemitismus noch ehrten sie Staatssymbole, „einer Flagge mochten diese Gruppe keine Ehre erweisen“, erklärt Feldmann.
„Es ist nun eine erschreckende Tatsache, dass die gegenwärtigen Machthaber alle aufrichtigen Bibelchristen (…) schmähen, verleumden und mit grausamen Mitteln verfolgen“ – so beginnt der zweiseitige Offene Brief und nennt Todesopfer, Konzentrationslager sowie Verantwortliche der Verfolgung mit Klarnamen. „Natürlich ging damit die Verfolgung erst richtig los“, erklärt Irene Feldmann. Auch in Krefeld fallen der Verhaftungswelle Glaubensangehörige zum Opfer: So wird Karl Wolf festgenommen, er wird nach seiner Haftzeit in die KZ Buchenheim und bis Kriegsende in Ravensbrück interniert. Ähnlich ergeht es seiner Frau Auguste, die gemeinsame Tochter wird aus der Familie entrissen und in ein NS-Erziehungsheim verbracht. Die weiteren Stolpersteine, Trift 92 in Oppum, sind der Schwester und dem Schwager Auguste Wolfs gewidmet: Die Familie Windolph hat ähnliches zu erleiden. Auch ihnen wird das Sorgerecht für ihren Sohn Günther entzogen – für diese Konsequenz reicht die Erklärung Johanna Windolphs, ihr Sohn würde weder der Hitlerjugend beitreten noch in der Wehrmacht dienen. Der Krefelder Amtsarzt Dr. Klarholt attestiert, Auguste würde „den Abwehrwillen der inneren Front gefährden“, daraufhin kommt sie nach einer belastenden Zeit in der Süchtelner Psychiatrie, wo sie medizinische Experimente erleiden muss, in das KZ Ravensbrück.

Es gibt zutiefst Menschliches in der Biografie der Windolphs. Sie halten dem langjährigen Druck nicht stand und unterschreiben im KZ eine perfide Erklärung, nicht weiter für ihren Glauben aktiv zu sein. Insgesamt unterschrieben wenige KZ-Häftlinge, die als Zeugen Jehovas mit einem Lila Winkel stigmatisiert waren. Dennoch: Diese Brüche seien gut nachvollziehbar. Irene Feldmann: „Wer kann heute sagen, er hätte nicht unterschrieben, wenn man von seiner Familie und Kindern getrennt ist und dann nachhause kann?“ Mit der inneren Haltung hatte dieser formelle Akt im vorliegenden Fall nichts zu tun, betont Feldmann. „Meinen Glauben lasse ich mir von niemandem aus dem Herzen reißen“, so zitiert sie Johanna Windolph aus dem Protokoll der Gestapo-Akte. Die Familie Windolph war nach dem Krieg und vielen Jahren bitterer Repression wieder vereint.
Ein besonderes Highlight des herbstlichen Nachmittags war der musikalische Teil der Veranstaltung: Otto Krieger und Raphael Jungbauer spielten mit ihren Saxophonen mehrere Stücke des Komponisten Erich Frost, der selbst als Zeuge Jehovas insgesamt neun Jahre in verschiedenen KZ interniert war. Frost komponierte für die Gemeinschaft viele Stücke, auch die musikalische Untermalung des „Schöpfungsdramas“, das in Krefeld aufgeführt wurde (siehe Kasten).
An dem herbstlichen Nachmittag hörten die Besucher Stücke mit besonderer Geschichte: Frost komponierte die Lieder heimlich im KZ Sachsenhausen und schmuggelte sie auf findige Weise; ein Glaubensbruder war für die Versorgung von Kaninchen eines SS-Mannes außerhalb des Lagers verantwortlich. Über den Stall gelang das Liedgut in die Schweiz und letztlich in das Liederbuch der Gemeinschaft.
Und so stimmten auch die Windolphs nach dem Krieg während der Gottesdienste wieder in die Liedzeilen mit ein, die ihr Glaubensbruder und Leidensgenosse im KZ komponiert hatte.

Mit schwerem Gepäck reiste in den 20er und frühen 30er Jahren eine Gruppe der „Ernsten Bibelforscher“ von Norden bis Süden durch das Land, in zahlreichen Lederkoffern Vorführgeräte, insgesamt 4 Kilometer Bandmaterial auf Filmrollen und eine Vielzahl von Schellack-Schallplatten samt Schallplattenspieler und Leinwand. Bis zum Verbot der Gemeinschaft und Zensur des „Photo-Dramas der Schöpfung“ im April 1933 hatten im damaligen Reichsgebiet rund eine Million Menschen die Vorführungen besucht, die von einem Streifzug durch die Geschichte der Bibel und von der christlichen Hoffnung handelten. Die Musik war größtenteils von dem Komponisten und Pianisten Erich Frost (Foto) geschrieben worden, der mit seinem Orchester zu den Film-Events größtenteils selbst anreiste.
Auch Krefeld weist die Chronik der Tourneedaten als Vorführort auf, genau den 6. und 7. August 1932. Das Filmmaterial reichte für acht Stunden, die an zwei Terminen ausgestrahlt wurden. Besonders war dieses Event deshalb, weil in Zeiten von schwarz-weiß-Fotografie und Stummfilmen dieser Multimedialfilm bereits mit eigens synchronisierten Teilen und cholorierten Film- und Diabildern aufwarten konnte. Dazu war die Geschicklichkeit der mitreisenden Helfer-Crew vonnöten: Die Schellack-Platten mit den passenden Sprechpassagen mussten punktgenau mit dem mitlaufenden Film- und Diasequenzen aufgelegt werden – und das an zwei Tagen über insgesamt acht Stunden.
Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten zeigte die Gemeinschaft das Medienprojekt noch in fünf anderen europäischen Ländern. Besonderheit: Aktuelle Dias über Bücherverbrennungen und Verhaftungen in Deutschland wurden in die Vorführung aufgenommen und sollten die Bevölkerung in den Nachbarländern über die Verfolgungen und Machenschaften der Nazis informieren. Die gesprochenen Beiträge, gepresst auf Schellack, wurden von der kleinen Religionsgemeinschaft in alle europäischen Hauptsprachen übersetzt.
Erich Frost litt anschließend insgesamt neun Jahre in verschiedenen KZ, komponierte dort heimlich weiter von seinem Glauben geprägte Lieder.


















2025 muss die Villa Merländer wegen Umbauarbeiten für einige Monate schließen. Ab sofort ist das Haus für den Besuchsverkehr nicht zugänglich. Über den Termin der Neueröffnung informieren wir zeitnah. Mehr Infos zur neuen Ausstellung gibt es hier.