Der Dirigent

Der Angriff der Nationalsozialisten auf Hans Schweiger - Ein Text von Burkhard Ostrowski

Am 24. April 1935 erschien in der nationalsozialistischen „Rheinischen Landeszeitung“ (RLZ) eine Anzeige, in der für Samstag, den 27. April, ein Sonderkonzert in der Stadthalle angekündigt wurde. Als Leiter des Konzerts wurde Hans Schwieger, Berlin, genannt. Am folgenden Tag präzisierte ein kleiner Artikel die Art der Veranstaltung. Mit dem Konzert solle dem Berliner Dirigenten die Möglichkeit gegeben werden, sich der Krefelder Musikgemeinde vorzustellen, denn Schwieger hatte sich als Nachfolger des scheidenden städtischen Musikdirektors Dr. Walther Meyer-Giesow beworben. „Es wird bei der Wichtigkeit der Wahl eines würdigen Führers der hochstehenden Krefelder Musikpflege eine rege Beteiligung vonseiten des musikliebenden Publikums erwartet, umso mehr als die Preise sehr niedrig angesetzt sind, die Qualität des Programms aber über allem Zweifel steht“ hieß es in der RLZ.

Am Tag nach der Veranstaltung brachte das Blatt die durchaus wohlwollend-positive Konzertkritik eines „Dr. v. Br.“, in der Hans Schwieger bescheinigt wurde, trotz junger Jahre eine musikalische Persönlichkeit zu sein. Außerdem wurde bekanntgegeben, dass Hans Schwieger im Anschluss an das Sonderkonzert als neuer städtischer Musikdirektor verpflichtet worden war. Ein weiterer Artikel stellte den neuen Musikdirektor vor.

Hans Schwieger war am 15. Juni 1906 in Köln geboren worden. Sein musikalisches Talent wurde früh erkannt. Er studierte an der Hochschule für Musik  in Köln und wurde dann Assistent von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper “Unter den Linden“. Nach weiteren Stationen wurde er „nach der Machtergreifung vom hessischen Staatsminister Jung als kommissarischer Direktor der Mainzer Musikhochschule angestellt“, so die RLZ.  

Was die RLZ ihren Lesern nicht mitteilte, was aber in Krefeld durchaus bekannt gewesen sein muss, war der Grund, warum Schwieger nach Krefeld wechseln wollte und auch musste. Er war 1934 in Mainz entlassen worden, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Hans Schwieger hatte seine Frau Elsbeth Bloemendahl im Oktober 1932 geheiratet. Letztendlich war die Entlassung in Mainz wohl auf eine Intrige im dortigen Orchester zurückzuführen, denn Schwieger hatte, nachdem seine Ehe zum Thema gemacht worden war, seine guten Beziehungen in der NS-Kulturbürokratie spielen lassen. Sogar der „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, war involviert worden und hatte entschieden, dass im Falle einer „Mischehe“, die nach dem 30. Januar 1933 geschlossen worden war, dem Betreffenden zu kündigen sei, im Falle einer Heirat vor diesem Termin jedoch das Können zu entscheiden habe. Trotz dieser Vorgabe verlor Schwieger seine Stelle; quasi aus Trotz fand die noch ausstehende kirchliche Trauung im Juni 1934 in Mainz statt.

Hans Schwieger versuchte danach, im Berliner Musikleben Fuß zu fassen, was schließlich nicht gelang. Er und seine Frau waren teilweise auf die finanzielle Hilfe der Familie angewiesen. Besonders Elsbeth Schwieger litt unter dieser Situation. Sie versuchte, ihren Mann zu überzeugen, dass eine Scheidung das Beste sei, damit er seine Karriere fortsetzen könne. Hans Schwieger weigerte sich aber kategorisch, einer Trennung zuzustimmen. In ihrer Not verließ Elsbeth Schwieger ihren Mann, ohne ihn zuvor zu verständigen und reiste zu ihren mittlerweile emigrierten Eltern nach Amsterdam. Sie hinterließ einen Brief, in dem es u. a. hieß: „Du musst deine Karriere machen, und wenn du dann international anerkannt bist, und mich immer noch willst, dann werde ich da sein, egal wie viele Jahre es dauert“ (zitiert nach: Peter Lange, Ein amerikanischer Europäer: Die zwei Leben des Dirigenten Hans Schwieger, Berlin 2015, S. 141). Hans Schwieger willigte nun in die Scheidung ein, was letztlich dafür sorgte, dass er in Krefeld überhaupt erst als Nachfolgekandiat berücksichtigt wurde.

Trotz der Trennung von seiner Frau bewegte sich Schwieger, ohne dies wohl richtig einschätzen zu können, in einem Minenfeld. Sein Vorgänger in Krefeld, Walther Meyer-Giesow, hatte sich mit einem Teil des städtischen Orchesters zerstritten und war nach der sogenannten Machtergreifung auch mit den neuen nationalsozialistischen Machthabern einige Male in Konflikt geraten. Als er im Sommer 1935 entlassen wurde, galt er gerade auch in bürgerlichen Kreisen als jemand, der die NSDAP gegen sich hatte. Der neue Dirigent Hans Schwieger hingegen wurde zunächst in Krefeld als Günstling der Partei und des Reichspropagandaministeriums wahrgenommen.

Und dies war die zweite Gefahrenquelle. Reichspropagadaminister Joseph Goebbels beanspruchte für sich die Hoheit in der Kulturpolitik und war durchaus bereit, vor allem mit Blick auf das Ausland, in der Kunst auch modernere Ansichten gelten zu lassen, wenn es ihm genehm war. Dies führte zum Beispiel dazu, dass in der RLZ auch Künstler wie Thorn-Prikker, Campendonk, Heckel, Kirchner oder Pankok lobend erwähnt werden konnten. Demgegenüber vertrat der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg, quasi die reine Lehre der Partei, in der alle neueren Richtungen der Kunst als „Kulturbolschewismus“ gebrandmarkt und bekämpft wurden. Ihn unterstützten vor allem die „Alten Kämpfer“, die frühen Parteimitglieder, die teilweise immer noch einen antibürgerlichen Habitus pflegten.

 

Am 1. Juli 1935 fand im Krefelder Stadthallengarten ein Werbeabend des Stadttheaters statt, bei dem auch Hans Schwiegers auftreten sollte. Es war seine Premiere als Orchesterchef des Stadttheaters Krefeld. Über das, was sich dann an diesem Abend ereignete, liegen Zeitzeugenberichte von Hans Schwieger und der damals in Krefeld engagierten Sängerin und Schauspielerin Anneliese Bésuch vor. Auch die Gestapoaußenstelle Krefeld berichtete drei Tage später über das Geschehen an die Leitstelle in Düsseldorf. In diesem Schreiben heißt es: „Am 01.07.1935 fand im hiesigen Stadthallengarten ein Werbe-Abend des Stadttheaters statt. Der Stadthallengarten war überfüllt und wies eine Besucherzahl von etwa 5000 Personen auf. Der neu verpflichtete Musikdirektor Hans Schwieger aus Berlin, dessen Ehefrau Jüdin ist und mit der er zur Zeit in Scheidung lebt, leitete eine Wiedergabe der Wagnerschen Musik aus dem ,Lohengrin´. Im gleichen Augenblick, als das Theaterorchester einsetzte, erschollen Zwischenrufe, Pfeifen und Niederrufe auf Schwieger. Die Fortführung des Abends war nur dadurch möglich, daß Schwieger programmgemäß nicht mehr auftrat. Der Protest wurde hauptsächlich von Parteigenossen, insbesondere von Alten Kämpfern erhoben. SA-Leute in Uniform hatten sich während der Störungen an zwei Stellen des Gartens aufgestellt und zogen gleich wieder ab, als Schwieger den Stadttheatergarten verlassen hatte.“

Am nächsten Abend, dem 2. Juli 1935, fand die Veranstaltung noch einmal in der Stadthalle für die Beamtenschaft Krefelds statt. Zu Beginn rügte NSDAP-Kreisleiter Diestelkamp die Vorfälle des vorhergegangenen Abends und betonte, „daß in der Bewegung mit Arbeiter- und Soldatenratsmanieren noch niemals etwas erreicht worden wäre“.   Auch der aus Düsseldorf herbeigeeilte Landeskulturwart Brouwers, der Vertreter von Reichpropagandaminister Goebbels im NSDAP-Gau Düsseldorf, verurteilte die Protestkundgebungen, sie seien einer nationalsozialistischen Bewegung unwürdig. Im Namen des Reichspropagandaministeriums erklärte er: „Musikdirektor Schwieger ist mit einer Jüdin verheiratet gewesen. Die Feststellungen haben eindeutig ergeben, dass die Scheidung nicht aus konjunkturellen Gründen erfolgt ist. Es ist nicht nationalsozialistische Art,  und der Volksgemeinschaft nicht förderlich, wollte man einen Menschen wegen begangener Fehler zur Verzweiflung treiben. Die alten Krefelder Parteigenossen   werden sich heute den Anordnungen, die mit der Verpflichtung Hans Schwiegers getroffen wurden, genauso fügen, wie allen anderen in späterer Zeit.“

Es gab zwar Beifall für die Erklärungen, aber die Sache war noch nicht zu Ende. Laut Gestapo verließen etwa 100 Personen, hauptsächlich „Alte Kämpfer“, die Stadthalle und versammelten sich in einem Lokal. „Revolutionäre Lieder wechselten mit Pfui-Rufen auf den Musikdirektor Schwieger.“ Man formulierte ein Telegramm an den „Führer“, „worin die sofortige Absetzung Schwiegers gewünscht wird“. Währenddessen dirigierte Hans Schwieger in der Stadthalle das Vorspiel zum dritten Akt von Richard Wagners Oper „Lohengrin“. „Reicher Beifall wurde Hans Schwieger und dem Sänger zuteil“ schrieb am folgenden Tag die „Niederrheinische Volkszeitung“, während die RLZ Schwieger bescheinigte, er habe seinen Part „mit feiner Einfühlung und glänzendem musikalischen Schwung“ geleitet. Beide Zeitungen äußerten sich nicht weiter über die vorangegangenen Ereignisse, schrieben nur kurz von Störungen und Zwischenrufen, die durch Gerüchte verursacht worden seien, die von dem Nationalsozialismus feindlicher Seite verbreitet worden wären, zitierten aber ausführlich aus den Erklärungen von Diestelkamp und Brouwers.

Am darauffolgenden Abend traf sich Landeskulturwart Brouwers mit den alten Parteigenossen (Mitgliedsnummer unter 300 000) in der Gaststätte „Heinzelmännchen“, dem Verkehrslokal der SA in Krefeld. Es wurde nochmals die sofortige Absetzung von Musikdirektor Schwieger gefordert. Brouwers erklärte, dass er in Berlin die Entscheidung des Reichspropagandaministers einholen werde. Da vor Beginn der neuen Theatersaison keine weiteren Konzerte anstanden, war aber mit weiteren Unruhen zunächst nicht zu rechnen.

Das Reichspropagandaministerium musste aber nicht mehr entscheiden. Die Stadt Krefeld löste den Vertrag mit Hans Schwieger auf, der eine Abfindung von immerhin 5000 Reichsmark erhielt. Dies und einige Auftritte als Gastdirigent finanzierten seinen Lebensunterhalt, bis er im August 1936 eine Stelle als Generalmusikdirektor in der „Freien Stadt Danzig“ erhielt.

Von Danzig führte ihn sein Weg im Sommer 1937 nach Japan, wo er in Tokio die Orchesterleitung an der Ueno-Musikakademie übernahm. Schwiegers Plan war es, von Japan aus in die USA zu gelangen, wo er mit seiner geschiedenen Frau zusammentreffen wollte. Dies gelang auch und im März 1938 betrat er in Kalifornien amerikanischen Boden. Nach etlichen Schwierigkeiten konnte Hans Schwieger dann seine ehemalige Frau aus Amsterdam in die USA holen, wo er und Elsbeth sofort nach deren Ankunft im August 1938 in New York erneut heirateten.

In den Vereinigten Staaten arbeitete Hans Schwieger zunächst als Musiklehrer, bis er wieder ein Orchester übernehmen konnte. Nach dem Kriegsausbruch mit dem Deutschen Reich wurde er als feindlicher Ausländer interniert und wegen Spionageverdacht 401 Tage in Haft gehalten. Seine Frau starb 1944 an einem Gehirntumor. Nach dem Krieg leitete Hans Schwieger mehrere bedeutende Orchester, zuletzt bis 1971 die Kansas City Philharmonic. Als Gastdirigent war er ab den 1950er Jahren an zahlreichen europäischen Musikhäusern tätig, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Hans Schwieger starb am 2. Februar 2000 in Florida.

Wer sich für die spannende Lebensgeschichte des Dirigenten Hans Schwieger interessiert, dem sei die informative und gut lesbare Biografie von Peter Lange „Ein amerikanischer Europäer: Die zwei Leben des Dirigenten Hans Schwieger, Berlin 2015“ empfohlen.

Bildquellen:

Rheinische Landeszeitung, 25.04.1935

Rheinische Landeszeitung, 28.04.1935

 

Ost

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