Lomm (NL)

Das Kreuz am Wald

Wir stehen vor einem Kreuz mit einer Christusfigur, einem Symbol für Schmerz und Leid. Es verweist auf eine Geschichte, die sich nicht nur hier abspielte, sondern in fast allen Gemeinden in Nord-Limburg, sofern sie in der Nähe der Maas liegen. Sie handelt von Flucht und Vertreibung.

Das Kreuz wurde von den Bürgerinnen und Bürgen des Dorfes Lomm aufgestellt. Sie waren dankbar, dass sie unversehrt zurückkommen konnten. Die „Grüne Polizei“, die deutsche Ordnungspolizei in den Niederlanden, hatte sie aus ihren Häusern vertrieben. Angeblich war es für die Dorfbewohner im Januar 1945 zu gefährlich geworden, als die Maas zum Kampfgebiet zu werden drohte.

Pferde durften nicht mitgenommen werden und Autos fuhren schon lange nicht mehr, weil es kein Benzin gab. Für die Einwohner von Lomm bedeutete das einen Gepäckmarsch von elf Kilometern in sibirischer Kälte über die Grenze in Richtung Straelen. Sie zogen den Hanikerweg entlang, wo heute das Hochkreuz steht.

Der Fall Lomm zeigt, dass die systematische Evakuierung der Maas-Anlieger nicht vollständig mit der Bahn vorgenommen wurde. Mitunter mussten die Vertriebenen tagelang auf ihren Transport warten, selbst wenn dieser in Viehwagen vonstatten ging. Die Züge wurden über deutsches Territorium in die noch immer von den Deutschen besetzten nördlichen Niederlande geleitet. Die Limburger erhielten dort den Status „kriegsbedingter Flüchtling“.

Glücklicherweise war der Krieg auch dort so schnell zu Ende, dass die meisten Flüchtlinge innerhalb eines halben Jahres nach Hause zurück gelangten. Der Wiederaufbau konnte beginnen.

Das Kreuz am Wald von Lomm

Wir haben uns vor einem schlichten Hochkreuz mit einer Christusfigur von der Hand eines anonymen Bildhauers eingefunden. Es steht am Rande des Waldes zwischen den Kirchdorf Lomm und der Ortschaft Hanik. Die Art der Darstellung versinnbildlicht den Schmerz und das Leiden. Das Kreuz steht hier, aber eigentlich könnte es mit seiner Symbolik auch an irgendeiner anderen Stelle in Nord-Limburg stehen. Es verweist nämlich auf Ereignisse, die sich nicht nur in Lomm, sondern auch an vielen anderen Orten zugetragen haben — Geschichten von Vertreibung und Flucht, die für das 20. Jahrhundert nur zu typisch sind.

Das Kreuz wurde einige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg von den Bürgerinnen und Bürgern des Dorfes Lomm aufgestellt. Sie waren froh und dankbar, dass sie überlebt hatten und zurückkehren konnten. Die „Grüne Polizei“, die deutsche Ordnungspolizei in den Niederlanden, hatte die Familien zum Jahreswechsel 1944 / 45 aus ihren Häusern vertrieben. Monatelang hatten sie ein erbärmliches Dasein als Flüchtlinge führen müssen.

Der letzte Kriegswinter war ungewöhnlich kalt gewesen. Dadurch war der Vormarsch der Alliierten am Ufer der Maas aufgehalten worden. Von Lomm aus konnte man die Befreier schon fast sehen und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie den Fluss überqueren würden. Das war allen in diesem Gebiet klar — auch den Deutschen. Aber sie gaben nicht widerstandslos auf.

Sie hatten sich eingegraben und auf den Kampf vorbereitet — so gut wie es damals ging. Denn es herrschte allseits Mangel. Das betraf inzwischen sowohl die Front, als auch die Familien daheim. Die Stimmung unter den deutschen Soldaten war schlecht. Und das sorgte für Unruhe unter der Limburger Bevölkerung — nicht zuletzt, weil die Deutschen den Mangel an Arbeitskräften in der Rüstungsindustrie durch häufige Razzien zu beheben versuchten. Viele Männer wurden bei den Kontrollen aufgegriffen und nach Deutschland geschickt. Außerdem gab es immer weniger zu essen. Und dazu kam nun noch die Angst, dass die Deutschen weitere Evakuierungen vornehmen könnten. Man hatte ihr Vorgehen in Gennep vor Augen. Dort duften die Menschen nur zusammenklauben, was griffbereit lag, bevor sie von einer Minute auf die andere ihr Heim verlassen mussten.

In dem offiziellen Evakurierungsbefehl hieß es, dass diese Maßnahmen nur der eigenen Sicherheit dienen würden. Schließlich könnten die Dorfbewohner zwischen die Fronten geraten. Natürlich entsprach das den Möglichkeiten, aber das Eigeninteresse der Besatzer war nur zu offensichtlich. Sie hatten zu befürchten, dass die Niederländer ihre Befreier unterstützen würden, wo sie nur konnten. Deswegen wurden geräumte Dörfer anschließend Sperrgebiet. Plakate des deutschen Kommandos ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. In niederländischer Sprache stand darauf: „Warnung! Geräumtes Gebiet! Zivilpersonen, die sich in der Sperrzone aufhalten, werden als Terroristen angesehen und erschossen.“

„Terroristen“, ja, die gab es dort wirklich. Aber es waren nicht die Besatzer, sondern die Limburger, die ihnen zum Opfer fielen. Deutsche Soldaten zogen plündernd durch das Gebiet rechts und links der Maas, denn nicht überall am westlichen Maasufer hatten sich die Alliierten eingegraben. Es gab dort ein Niemandsland, ein „Freigebiet“. Schon der Begriff macht es deutlich. Hier war ein rechtsfreier Raum und die Deutschen plünderten, was sie kriegen konnten: Hausrat, Fahrzeuge und Vieh. Nichts war vor ihnen sicher. Trotzdem, wenn die Menschen die Wahl gehabt hätten: sie wären lieber hier geblieben als ins Ungewisse geschickt zu werden.

Aber diese Wahl gab es nicht. Nachdem in den vorhergehenden Wochen alle Dörfer in dem Gebiet geräumt worden waren, bekamen auch die Bewohner von Lomm am Samstagabend des 13. Januar 1945 den Befehl, den Ort zu verlassen.

Das spielte sich zunächst ab wie anderenorts. Es war erlaubt, etwas Gepäck mitzunehmen und wenn man einen Wagen hatte, durfte man es auch damit transportierten. Allerdings musste man ihn selbst ziehen. Pferde durften nicht mitgenommen werden. Und Autos fielen aus, weil es kein Benzin mehr gab. Wohl oder übel ging es also zu Fuß in einen deutschen Ort in der Nachbarschaft. Für die Einwohner von Lomm war dies der Ort Straelen, elf Kilometer in Richtung Deutschland.

Es war mitten im Winter, die Temperaturen sibirisch und der Schnee lag ungewöhnlich hoch. Ab und zu zogen Granaten über den Himmel und darunter bewegte sich ein Treck vermummter Dorfbewohner: Männer, Frauen, Kinder, alt und jung mit Sack und Pack. Sie wussten, dass sie über die Grenze gehen sollten. Was die Zukunft ihnen bringen würde war gänzlich offen. Sie gingen hier entlang, über den Hanikerweg.

Wie man an dem Fall Lomm sieht, war es bei einigen Evakuierungen nicht mehr möglich, dass ein Zug bereitgestellt wurde, um die Bewohner in weiter entfernte Gebiete zu bringen. Fahrpläne und Dienstvorschriften lösten sich gegen Ende des Krieges auf. Die Alliierten taten das Ihrige dazu: auch Flüchtlingszüge gerieten unter Feuer. Die Bewohner von Lomm hatten Glück im Unglück. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte man sie möglicherweise in Viehwaggons auf eine noch länge Reise geschickt.

Sie mussten also nicht die Erfahrungen ihrer Nachbarn machen, die auf diese Art und Weise transportiert wurden. Die eingesetzten Viehwaggons waren völlig verdreckt. Es gab nicht die primitivsten Sitzgelegenheiten, also mussten die Menschen auf dem Boden kauern. Selbstredend gab es auch keine Toiletten. Aber die Türen ließen sich öffnen. So erledigte man dringende „Geschäfte“, indem man sich irgendwie vor die Tür hängte — aber nur kurz, denn es fror erbärmlich.

Die Züge brachten die Flüchtlinge aus Limburg wieder auf niederländisches Gebiet, das im Januar noch keine Kampfzone war: in die Provinzen Groningen, Friesland und Drenthe. Dort erhielten sie den offiziellen Status „kriegsbedingte Flüchtlinge“. Glücklicherweise dauerte der Krieg nur noch wenige Monate und so gelangten die Limburger bald nach Hause. Sie konnten mit dem Wiederaufbau beginnen.

Hier finden Sie den Sprechtext „Das Kreuz am Wald von Lomm“.

Sprecher: Wolfgang Reinke
Autor: Erik van den Dungen
Übersetzerin: Dr. Ingrid Schupetta
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis des Autors einzuholen.

Weiterlesen
Eddie van der Noord, 30.000 evacués. Limburg en Friesland verbonden door de oorlog, Grou 2011 (Buch mit Interviews und vielen Bildern – nur auf holländisch).

Das Kreuz am Wald
Das Kreuz steht am Hanikerweg (5943 NB) in Lomm, also zwischen Lomm und Hanik.
Öffnungszeiten: Das Denkmal ist frei zugänglich.

Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Das Kreuz ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mit einiger Mühe zu erreichen. Man kann von Venlo aus den Bus 83 (Novia) in Richtung Nimwegen nehmen und an der Haltestelle Veer in der Nähe von Lottum aussteigen. Von hier aus läuft man eine gute halbe Stunde.