Venlo (NL)

Die Gedenktafel an der St. Martinuskirche

An der Außenfassade der St. Martinuskirche ist eine Gedenktafel angebracht, auf der die Namen von vier im Widerstand getöteten Geistlichen stehen. Die Kirchenmänner in Limburg – bis hinauf zum Bischof in Roermond – spielten wichtige Rollen im Kampf gegen die Fremdherrschaft. Die Tafel erinnert nicht nur an die bedeutende Stellung, die die Kirchen im Widerstand inne hatten, sondern auch daran, dass die Geistlichen hohe Risiken auf sich nahmen. Sie waren letztendlich genauso verwundbar wie alle anderen Menschen.

Um die niederländische Bevölkerung in den Griff zu kriegen, hatten die Besatzer auch die Kirchen unter Druck gesetzt. Sie protestierten öffentlich in Wort und Schrift. Aber der kirchliche Widerstand ging weit darüber hinaus.

Der Venloer Dekan Jules van Oppen starb im KZ Herzogenbusch nachdem er sich wiederholt gegen die Nazi-Propaganda geäußert hatte. Er war der erste kirchliche Amtsträger aus Limburg, der in deutscher Gefangenschaft ums Leben kam. Aber nicht der letzte … Der Nachfolger des Dekans van Oppen war Kaplan Naus. Er entwickelte sich ab 1943 zu einem der führenden Köpfe des Widerstandes in der Provinz Limburg.

Aber wieso wurde die Kirche für den Widerstand in Limburg so wichtig? Das kam durch ihre Hilfe für die Illegalen, in den Niederlanden die „Untertaucher“ genannt. Für sie musste zu allererst Nahrung und Kleidung organisiert werden. Das scheint heute ziemlich harmlos gewesen zu sein, aber erstens dachten die Besatzer darüber ganz anders und zweitens waren dafür Lebensmittel- oder Kleiderkarten nötig. Und die mussten gestohlen oder gefälscht werden.

Damit es mit der Hilfe reibungslos funktionierte, brauchte man eine schlagkräftige Organisation. Kaplan Naus kam auf den Gedanken, den Widerstand parallel zu der bereits vorhandenen kirchlichen Organisationsstruktur zu entwickeln. Das war ein so einfaches wie geniales System, dass es ein Vorbild für andere Widerstandsgruppen wurde.

Schließlich wurde Kaplan Naus verraten und gefangen genommen. Er starb an dem Tag als Venlo befreit wurde im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Die Gedenktafel an der St. Martinuskirche in Venlo

An der Außenfassade des Südchores der St. Martinuskirche befindet sich eine Steintafel aus dem Jahre 1995. Sie trägt – in der Übersetzung – folgende Inschrift:

“Im Widerstand vereint.
Dekan Jules van Oppen (t 10. Februar 1943 Vught).
Pater Christofoor Meulendijks (t Februar 1945 Bergen-Belsen).
Kaplan Jac. Naus (t 15. April 1945 Bergen-Belsen).
Geistliche der Pfarre St. Martinus.

Pfarrer Henk de Jong (t 12. Februar 1945 Harleem).
Prediger an der reformierten Kirche in Venlo.
Dem Herrn ergeben.“

Die bescheidene Tafel wird der wichtigen Rolle, die die Kirche im Widerstand in der Provinz Limburg gespielt hat, kaum gerecht.

Um die niederländische Bevölkerung in den Griff zu bekommen, versuchten die Deutschen auf verschiedene Art und Weise Einfluss auf gesellschaftliche Gruppen zu nehmen. Der Druck auf die niederländische Kirche war sehr stark und nahm im Laufe der Zeit noch zu. So wurden Gottesdienste und kirchliche Veranstaltungen kontrolliert. Auch die kirchlichen Veröffentlichungen wurden zensiert. Die Einnahmen aus den Kollekten wurden der sogenannten Winterhilfe zugeführt, einer nationalsozialistischen Wohlfahrtseinrichtung nach deutschem Muster. Von der Winterhilfe profitierte nur, wer „rasserein“ war und sich dem Regime unterwarf.

Im Laufe des Jahres 1942 wagten die Kirchen einen gemeinsamen Protest gegen die Besatzer, die die christlichen und humanistischen Werte antasteten: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit gegen jedermann und das Recht, nach der eigenen Überzeugung zu leben, einschließlich der Religionsfreiheit. Die Klagen über die Verfolgung der Juden wurden lauter, auch die gegen den „Arbeitseinsatz“, die Zwangsverpflichtung von niederländischen Arbeitern nach Deutschland.

Aber der Widerstand innerhalb der Kirchen ging an einigen Stellen weit über Wort und Schrift hinaus. Manche Pastoren und Pfarrer waren persönlich an Widerstandsaktionen beteiligt. Sie halfen Leuten, die untertauchten. In einem Einzelfall wurden in einer Kirche sogar Waffen für den Widerstand gelagert und verteilt. In diesem Sinne stand die Kirche wirklich mitten im Leben. Und das betraf nicht nur die untere Ebene der Seelsorge. In Roermond beteiligten sich selbst der Bischof und sein Stellvertreter an Widerstandsaktionen. Es stellt sich die Frage, wie es kam, dass eine Einrichtung wie die Kirche von entscheidender Bedeutung für den Widerstand werden konnte. Sie hätte sich doch genauso gut hinter dem Altar verschanzen und auf bessere Zeiten warten können.

Nun, in Venlo sprach sich der Dekan Jules van Oppen in den ersten Kriegsjahren entschieden gegen die NS-Propaganda-Filme aus, die die Deutschen ins Kino brachten. Ungeachtet wiederholter Verwarnungen nahm er kein Blatt vor den Mund. Er wurde verhaftet. Im Ergebnis bezahlte er seine Offenheit mit dem Leben. Er starb im Februar 1943 im KZ Herzogenbusch. Damit war er der erste Kirchenvertreter aus Limburg, der in deutscher Gefangenschaft ums Leben kam.

Sein Nachfolger, Kaplan Jac Naus, entwickelte sich ab 1943 zu einer führenden Persönlichkeit im regionalen Widerstand. Er bemerkte, wie langsam die Zahl der Untergetauchten zunahm. Das war eine Reaktion darauf, dass sich die ehemaligen niederländischen Soldaten plötzlich als Kriegsgefangene bei den Deutschen melden sollten. Die deutsche Kriegsindustrie hatte einen unstillbaren Bedarf an Arbeitskräften. Die meisten Niederländer versuchten, sich dem zu entziehen. Viele suchten sich ein Versteck. Obendrein war die Hatz auf die Juden im vollen Gange und auch aus dieser Gruppe versuchten einige, im Versteck zu überleben.

Die Kirche half den Untergetauchten. Das geschah nicht nur in Venlo, sondern an vielen Orten in den Niederlanden. Die Hilfe bestand zunächst aus harmlosen Dingen wie der Beschaffung von Nahrungsmitteln und Kleidung. Aber die Besatzer dachten darüber natürlich ganz anders. Lebensmittel konnte man damals nicht so einfach im Laden kaufen. Man brauchte dazu Lebensmittelmarken und Lebensmittelkarten. Solche gab es für die Illegalen selbstverständlich nicht. Also mussten Sie gefälscht oder gestohlen werden. Es ist offensichtlich, dass hier ein einzelner Pastor wenig ausrichten konnte. Hinter ihm musste schon eine Organisation stehen.

In dem Maße, wie der Strom der Untergetauchten weiter anschwoll, mussten mehr und mehr Verstecke gefunden werden. Um den Bedarf decken zu können, baute Naus in aller Eile eine spezielle Organisation auf, die den Menschen beim Untertauchen half. Er nutzte dazu seine guten Kontakte zu vielen katholischen Einrichtungen. Dabei ging er geschickt zu Werke. Die Struktur der Organisation folgte im Groben der Einteilung in Pfarren. Verschiedene Pfarren bildeten einen Bezirk. Aus mehreren Bezirken bestand eine Region. Es gab Bezirksleiter und einen Regionalrat. Diese Struktur breitete sich über ganz Limburg aus. So wurde in der St. Martinuskirche in Venlo der Keim für eine gut organisierte Widerstandsbewegung gelegt. Sie wurde von der Exilregierung zunächst arg unterschätzt. Eine Ursache dafür war sicherlich der Gegensatz zwischen dem katholischen Süden und dem protestantischen Norden der Niederlande, der selbst im Exil nicht aufgehoben war.

Im Widerstand herrschte Aufgabenteilung. Da mussten Lebensmittelkarten beschafft werden, illegale Zeitungen verteilt und, nicht unwichtig, es mussten neue Adressen zum Abtauchen her. Damit das alles reibungslos lief, waren viele heimliche Beratungen nötig. Bei einem der Treffen kam es zur Katastrophe. Es war an die Besatzer verraten worden. Naus wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht, wo er am Tag der Befreiung Limburgs starb. Die Widerstandsorganisation von Kaplan Naus in Limburg wurde von den Deutschen aufgerollt.

Nicht nur in Venlo, sondern auch an anderen Orten hatten Geistliche einen wichtigen Anteil am Widerstand. Pater Lodewijk Bleijs in Roermond sollte dabei nicht unerwähnt bleiben. Letztendlich entkam er den Deutschen nur durch die Flucht nach London. Er floh widerwillig, von den Freunden gedrängt. Immerhin konnte er bei der Exilregierung erläutern, wie der Widerstand in Limburg funktionierte. Das kam selbst Königin Wilhemina zu Ohren. Pater Bleijs wurde daraufhin als Hofgeistlicher eingestellt. Das brachte ihm neben der Freundschaft von Prinz Bernhard auch den Spitznamen „de Aal van Oranje“ ein. Was sowohl der Feldgeistliche von Oranien heißen kann, wie der Aal von Oranien – was immer das über den Pater aussagen mag.

Hier finden Sie den Sprechtext „Die Gedenktafel an der St. Martinuskirche in Venlo“.

Sprecher: Wolfgang Reinke
Autor: Erik van den Dungen
Übersetzerin: Dr. Ingrid Schupetta
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis des Autors einzuholen.

Weiterlesen:
A.P.M. Cammaert, Het verborgen front, geschiedenis van de georganiseerde illegaliteit in de provincie Limburg tijdens de Tweede Wereldoorlog, Twee delen, 1262 Seiten, Eisma 1994.

Jan van Lieshout, De aal van Oranje. Een biografie van pater Bleijs, Spijk 1988.

Henk Termeer, Het geweten der natie: de voormalige illegaliteit in het bevrijde Zuiden, september 1944-mei 1945, Assen 1994.

Die Gedenktafel an der St. Martinuskirche
Grote Kerkstraat
5911 CH Venlo.
Öffnungszeit: Die Kirche ist regelmäßig geöffnet, meist zwischen 14 und 16 Uhr. Wenn man es genau wissen will, sollte man auf der Homepage der Kirche nachsehen: www.sintmartinusvenlo.nl

Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Venlo ist sehr gut mit der Bahn zu erreichen. Die Kirche ist vom Bahnhof aus in fünf bis zehn Minuten zu erreichen.