Roermond (NL)
Die alte Synagoge
Oberhalb der Geschäfte an der Hamstraat 20 sind ein Monument und ein Davidstern zu erkennen. Dort befand sich einst eine jüdische Schule. Roermond hat eine lange jüdische Tradition. Die ersten Juden sind 1275 in der Stadt nachgewiesen. Seit 1853 hatten sie ein eigenes Synagogengebäude – hier, hinter der jüdischen Schule. Nach dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande änderte sich das Leben der Juden in Roermond von Grund auf. 1942 und 1943 wurden sie in drei Schüben in die Lager Vught und Westerbork deportiert. Nur wenige überlebten, weil sie rechtzeitig untertauchten.
Vught und Westerbork waren bloß Zwischenstationen auf dem Weg in die Vernichtungslager. Vor dem Krieg gab es in Roermond 157 jüdische Einwohner, danach waren es nur noch 24. Die Wehrmacht schändete das Gotteshaus, indem sie es 1943 als Pferdestall benutzte. Ein Jahr später wurde das Gebäude während eines Luftangriffes vernichtet. Von der Synagoge und dem Gemeindearchiv blieb so gut wie nichts übrig. Die kleine jüdische Gemeinschaft, die nach dem Krieg wieder in Roermond zusammentraf, ließ an der Stelle der alten Synagoge eine neue bauen. Diese wurde einige Jahrzehnte regelmäßig genutzt, heute nur noch ausnahmsweise.
Für die meisten Bewohner und Besucher der Stadt ist der Fassadenschmuck des ehemaligen Schulgebäudes der einzige Hinweis, dass es in Roermond einmal ein reges jüdisches Leben gab.
Die alte Synagoge in Roermond
In der Hamstraat in Roermond ist an einer Hausfassade ein ungewöhnliches Denkmal zusehen. Es befindet sich über den Schaufenstern der Nummer 20. Auf einer kleinen Balustrade stehen zwei Säulen mit einem Dach. Unter dem Dach sieht man ein in Stein gemeißeltes, großes, aufgeschlagenes Buch. Es ist mit einer Krone versehen. Sowohl in dem Buch als auch in einem Rechteck darunter sind Schriftzeichen zu erkennen.
Nur der Kundige weiß, dass es sich dabei um eine Thorakrone, zwei Blätter mit den zehn Geboten und den Gott lobenden Psalm 118, Vers 19 handelt: „Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, dass ich dahin eingehe und dem Herrn danke.“ In den hebräischen Schriftzeichen ist außerdem die Jahreszahl 1897 sichtbar – wenn man weiß, wie sie zu lesen ist. Die Schriftzeichen werden nämlich durch das darübersetzen von Punkten zu Zahlen.
Das Monument stellt einen Thoraschrein dar. Und weil die Thora das Wichtigste an einer Synagoge ist, ist dies – auch ohne dass man die Schrift lesen kann-, der Hinweis, dass sich hier eine solche befindet oder befunden haben muss. Im Mauerwerk über dem Monument ist außerdem noch ein Kreis ausgespart. Dort sieht man einen Davidstern.
Roermond hat eine lange jüdische Tradition. Seit 1275 wohnte eine kleine Anzahl von Juden in der Stadt, wenn auch mit langen Unterbrechungen. Eine erste Verbannung von Juden aus Roermond wurde beispielsweise durch den Herzog von Geldern angeordnet. Nach wechselvoller Geschichte wuchs die Zahl der Gemeindemitglieder in den 1930er Jahren plötzlich auf bis zu 150 an. Das lag an den vielen jüdischen Flüchtlingen, die aus Deutschland in die Niederlande kamen.
Seit 1853 hatten die Juden in Roermond eine eigene Synagoge. Sie wurde in einem Gebäude hinter dem Haus an der Hamstraat errichtet. Das Vorderhaus wurde als Schule und Wohnung für den Gemeindediener genutzt. Das verhältnismäßig friedliche Leben der Juden in Roermond änderte sich nach dem Überfall der Deutschen radikal. Denn nicht nur in den großen Städten wie Amsterdam wurden den Juden Beschränkungen auferlegt, die ihnen das Leben schwer machten. Sie galten auch in Roermond.
Die deutschen Besatzer ordneten beispielsweise an, dass sich alle Juden registrieren lassen mussten. Ihre Vermögen wurden zwangsweise auf die Lippmann-Rosenthal-Bank überwiesen. Jüdische Kinder durften nicht mehr mit den anderen niederländischen Kindern in die gleiche Schule gehen, und seit dem 1. September 1941 durften Juden auch nicht mehr ohne Erlaubnis der Behörden umziehen. Der Judenstern wurde in den Niederlanden im Mai 1942 Pflicht.
Schließlich wurden die Juden aus Roermond in drei Schüben deportiert. Sie wurden mit zunehmender Brutalität behandelt. Bei der ersten Deportation am 25. August 1942 gab es noch öffentliche Aufrufe, dass man sich melden sollte. Schon am nächsten Tag ging es in das Lager Westerbork. Menschen, die nicht transportfähig waren, sowie ihre Ehepartner und Kinder unter sechzehn, durften in Roermond bleiben.
Bei der zweiten Deportation, am 10. November 1942, wurden 23 Juden durch die Polizei abgeholt und nach Westerbork gebracht.
Im Winter 1942/43 konnten einige dutzend Juden in den umliegenden Dörfern gerade noch rechtzeitig Verstecke finden. Nach dem 10. April 1943 sollte ihnen der Aufenthalt in verschiedenen Provinzen, darunter Limburg, verboten werden. Die Juden in der Provinz Limburg bekamen die Order, sich im KZ Herzogenbusch (Kamp Vught) zu melden. Am 9. April, einen Tag bevor das Aufenthaltsverbot in Kraft trat, wurden noch einmal zwanzig Juden aus Roermond nach Vught gebracht.
Die Untergetauchten waren keineswegs in Sicherheit. Denn in den Niederlanden gab es – genauso wie überall sonst – Menschen, die sich gerne etwas dazuverdienten. Der Verrat von untergetauchten Juden wurde von den Besatzern gut bezahlt. Juden, die man an ihren Untertauchadressen antraf, beschuldigte man offiziell, dass sie den Wohnort ohne Erlaubnis gewechselt hatten. Welch ein Grund, um jemanden in den sicheren Tod zu schicken! Die Lager Westerbork und Vught waren nämlich nur Zwischenstationen. Die meisten der abtransportierten Juden deportierten die Deutschen nach kurzer Zeit in ihre Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten.
In Roermond gab es vor dem Krieg 91 Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Insgesamt waren 157 jüdische Einwohner registriert worden. Letztendlich überlebten nur 24 von ihnen den Krieg. Die übrigen 133 kamen bei Hitlers Endlösung ums Leben. Aus den Niederlanden wurden, im Vergleich zu anderen besetzten Gebieten, sehr viele Juden abtransportiert. Das deutsche Regime konnte dabei teilweise auf einen durchaus kooperativen einheimischen Verwaltungsapparat zurückgreifen. Fein säuberlich wurden die jüdischen Niederländer in den Einwohnermeldeverzeichnissen registriert, das vereinfachte den Zugriff.
Die Synagoge in der Hamstraat fand nach der Auslöschung der Gemeinde ein trauriges Ende. Die deutschen Besatzer schändeten das Gotteshaus, in dem sie es als Pferdestall nutzten. 1944 wurde das Gebäude bei einem Bombenangriff zerstört. Leider betraf das auch das Gemeindearchiv.
Als sich nach dem Krieg wieder eine kleine jüdische Gemeinschaft in Roermond sammelte, wünschte sie sich ein eignes Bethaus. In den 50er Jahren wurde tatsächlich an der Stelle der alten Synagoge eine neue, etwas kleinere, gebaut. Sie wurde bis 1986 genutzt. Danach stand sie einige Zeit leer, bis man sich zu einer Renovierung entschloss und sie – zumindest in den Sommermonaten – Touristen zugänglich machte.
Dazu muss man durch einen schmalen Hausflur gehen und gelangt auf einen Innenhof. Dort ist ein Mahnmal, auf dem die Namen aller 133 aus Roermond deportierten und ermordeten Juden aufgeführt sind, auch jener der aus Deutschland geflüchteten. In den Synagogenräumen befinden sich die Dinge, die man zum Gottesdienst benötigt, und eine kleine Dokumentation.
Außerhalb der Öffnungszeiten ist nur die Hausfassade mit dem Monument und dem Davidstern zu sehen.
Hier finden Sie den Sprechtext „Die alte Synagoge in Roermond“.
Sprecher: Wolfgang Reinke
Autor: Erik van den Dungen
Übersetzerin: Dr. Ingrid Schupetta
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis des Autors einzuholen.