Moers

Mahnmal zu Ehren des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft

In Moers wird seit Jahren in besonders intensiver Weise an den Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur erinnert. Die Basis der Erinnerung sind zwei Bücher, die detailliert aufzeigen, was sich am „Tatort Moers“ abspielte. Eine mittelbare Folge der lokalen Geschichtsforschung sind Straßenbenennungen nach Widerständlern oder Opfern des Terror-Regimes, die dabei namhaft wurden. Seit dem Jahr 2000 gibt es außerdem noch eine zentrale Erinnerungsstätte an die Männer und Frauen des Moerser Widerstandes. Sie ist gut sichtbar mitten in der Stadt aufgestellt.

Das Mahnmal wurde von dem Künstler Hans-Jürgen Vorsatz geschaffen. Es soll nicht nur an das Vergangene erinnern, sondern gleichzeitig in die Zukunft weisen. Der Betrachter wird aufgefordert, aus der Geschichte zu lernen und wachsam zu sein. Der Ort vor dem ehemaligen Landratsamt ist nicht zufällig gewählt. Auf alten Fotos kann man sehen, dass sich die lokalen Machthaber hier trafen. Der Landrat war für den Kreis der verlängerte Arm der Geheimen Staatspolizei.

Das Mahnmal zu Ehren des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Moers

Auf einer Rasenfläche in der Nähe des Schlosses wurde im Jahr 2000 ein Mahnmal für den Widerstand aus dem Kreis Moers errichtet. Das Haus dahinter diente von 1900 bis 1975 als Landratsamt. Der Entwurf für das Kunstwerk stammte von dem Duisburger Bildhauer Hans-Jürgen Vorsatz. Er hatte sich bereits mehrfach künstlerisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt, so zum Beispiel im Duisburger Amtsgericht (1993). Finanziert wurde das Mahnmal zu einem großen Teil aus Spenden. Fast 400 Mitglieder einer Bürgerinitiative trugen dazu bei.

Für die zentrale Erinnerungsstätte in Moers entwickelte Hans-Jürgen Vorsatz eine mehrteilige Zusammenstellung. Sie besteht aus rechteckigen roten Granitplatten mit eingemeißelten Texten, einer Art Sitzblock und einer Doppel-Stele, ebenfalls aus Granit. Wichtig ist die Einbettung der roten Steine in das grüne Gras. Der Künstler arbeitet mit Gegensätzen. Das harte Rot symbolisiert Stärke, Kraft und Energie. Das weiche Grün dagegen Beharrlichkeit, Zuversicht und Hoffnung.

Die längeren Schriftzüge sind nur im Abschreiten zu lesen und führen damit zur Stele hin. Der obere Text trennt das Mosaikpflaster auf dem Weg zum Eingang des ehemaligen Landratsamtes. Er lautet: „Den Frauen und Männern des Moerser Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft.“

Der untere setzt mitten auf dem Weg an. Er fordert auf: „Lernen wir aus der Geschichte und bleiben wir wachsam.“ Ein Nachdenken oder ein Gespräch soll durch die Worte „Verlorengegangene“ und „Wiedergekehrte“ auf einem mittleren Textband angeregt werden, das komplett in der Rasenfläche des Vorgartens liegt.

Das Wort „Gedanken“ ist auf der Granitfläche zu Füßen des Sitzblockes zu lesen. Es gibt die Blickrichtung des Sitzenden vor, sonst könnte man diese Anordnung auch als äußerst unbequeme Gebetbank verstehen.

Kernpunkt der Anlage ist aber ohne Zweifel die gut 2 Meter hohe Doppelstele. Vom Schloss her kommend wirkt sie wie ein geschlossener Steinblock auf einer quadratischen Grundlage. Die hochglänzend polierte Oberfläche verstärkt die abweisende, lebensfeindliche Wirkung: hier bleibt nichts hängen, nichts kleben, nichts hinterlässt einen Eindruck, kein Tier könnte sich einnisten, kein Samenkörnchen keimen und wurzeln.

Wenige Schritte weiter ist aber schon zu erkennen, dass die Stele zwar ein Block aus einem Stein ist, in der Mitte aber gespalten und einige Zentimeter auseinandergerückt. Die Bruchstellen sind unregelmäßig gerissen. Im Spalt ist die Oberfläche rau. Hier könnte sich durchaus etwas festhalten, etwas wachsen. Relativ glatt sind nur die Stellen, an denen runde Eisen zum Spalten des Steines hineingetrieben wurden.

Im oberen Drittel der Kluft befindet sich ein kleines Haus aus strahlend weißem Marmor. Diese Art kleiner Häuser sind so etwas wie das Markenzeichen von Hans-Jürgen Vorsatz. In seiner Selbstdarstellung zitiert der Künstler einige Worte des chilenischen Dichters Pablo Neruda, der von einem Haus spricht, das nicht zweifelsfrei auszumachen ist und schon vor seiner Geburt da gewesen sein muss. Möglicherweise handelt es sich dabei aber nicht um kein Gemäuer aus Stein und Mörtel.

„Vielleicht ist dies das Haus
in dem ich lebte
als ich weder existierte
noch Erde besaß.“*
(aus Pablo Neruda: Poesías: Las piedras de Chile – Poesien: Die Steine Chiles)

Bestimmt sind die Häuser bei Hans-Jürgen Vorsatz grundsätzlich Zeichen für etwas, was man mit dem Begriff Haus in Verbindung bringen kann: Schutz, Zuflucht, Heimat, zu Hause sein, Familie, Freunde, Geborgenheit auf der eher positiv gesehenen Seite. Das Haus kann aber auch für negative Dinge stehen: Abgrenzung, Gefängnis, das Herrenhaus, in dem der Mann mit den Rüden in dem berühmten Gedicht „Todesfuge“ von Paul Celan wohnt.

Im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann man über die Bedeutung des weißen Hauses lange nachdenken. Überbrückt das Haus die tiefe Spaltung des Steins oder ist es in dem Spalt eingequetscht und leistet einem starken Druck Widerstand? Ist das dem Druck widerstehende Haus etwa die Ursache für den Bruch? Bildet es ein Zeichen für eine Veränderung oder gar einen neuen Anfang?

Aus dem strahlenden Weiß, in Mitteleuropa die Farbe der Unschuld, wäre zu folgern, dass es sich eher um ein gutes Haus mit guten Menschen handelt. Vielleicht verkörpert es aber auch einen Wunsch für die Zukunft: dass wer immer Widerstand leisten muss, stets einen Ort der Zuflucht und der Sicherheit finden möge.

Und jetzt hören Sie noch das vollständige Gedicht von Pablo Neruda, erstmals erschienen im Jahre 1961, in einer Übertragung von Erich Arendt.

*Pablo Neruda
Das Haus

Vielleicht ist dies das Haus, in dem ich lebte,
als ich weder existierte noch Erde besaß,
als alles Mond war, Dunkel oder Stein,
als das regungslose Licht nicht geboren war.
Vielleicht war damals dieser Stein
mein Haus, meine Fenster oder meine Augen.
Mich erinnert diese granitne Rose
an etwas, das in mir wohnte oder ich bewohnte,
Höhle oder kosmisches, der Träume Haupt,
Gefäß oder Kastell oder Schiff oder Geburt.
Ich berührte den hartnäckigen Mut des Felsen,
seine in der Salzlake berannte Wehr,
und ich weiß, hier bleiben Risse von mir zurück,
durchfurchte Substanzen, die aus Tiefen
aufstiegen bis zu meiner Seele,
und Stein war ich, Stein werde ich sein, deshalb
berühre ich diesen Stein, und für mich ist er nicht gestorben:
er ist, was ich sein werde, Ruhe
eines Kampfes endlos wie die Zeit.

aus: Chiles Steine (1961), zitiert nach: Pablo Neruda – Gedichte. 1923 – 1973, aus dem Spanischen herausgegeben von Carlos Rincon, Leipzig 1979.

Hier finden Sie den Sprechtext „Das Mahnmal zu Ehren des Widerstandes in Moers“.

Sprecher: Wolfgang Reinke
Autorin: Dr. Ingrid Schupetta
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis der Autorin einzuholen.

Weiterlesen:
www.vorsatz-bildhauer.de

Bernhard Schmidt und Fritz Burger, Tatort Moers. Widerstand und Nationalsozialismus im südlichen Altkreis Moers, Moers 1994
Bernhard Schmidt, Moers unterm Hakenkreuz, Essen 2008
Brigitte Wirsbitzki, Geschichte der Moerser Juden nach 1933, Moers 1991

Mahnmal zu Ehren des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft
47441 Moers
Kastell 5
Öffnungszeit: Das Mahnmal steht im öffentlichen Raum und ist jederzeit zugänglich.

Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Vom Bahnhof Moers fahren die Busse 911 und 921 die kurze Strecke zur Haltestelle Königlicher Hof. Von dort sind es noch etwa 10 Minuten zu Fuß.