Schwalmtal-Waldniel

Der Friedhof der Euthanasie-Opfer

Der Friedhof der Euthanasie-Opfer war ursprünglich ein Friedhof für Angehörige des Franziskaner-Ordens. Die Mönche hatten sich um 1910 in Waldniel-Hostert niedergelassen. Einheimische stellten ihnen damals Geld zur Verfügung, damit sie an diesem Ort ein Kloster mit einer Schule und – vor allem – mit einer Kirche bauten. Die neue Kirche sollte auch von den Anwohnern genutzt werden können. Das war Bedingung.

Die Franziskaner widmeten sich im St. Josefsheim vor allem der Pflege behinderter Menschen. So lange die Mönche die Verantwortung trugen, ging es den Hilfsbedürftigen gut. Das änderte sich, als die Nationalsozialisten den Orden aus der Krankenpflege verdrängten. Sie sortierten nun auch in Waldniel die Kranken in heilbare und unheilbare Fälle, in rassisch wertvolles und lebensunwertes Leben. Wer mit den damaligen Methoden nicht wieder vollständig gesund gemacht werden konnte, bekam keine Behandlung mehr und nicht einmal genug Nahrungsmittel. Während des Krieges wurden Behinderte aus Waldniel nach Hadamar und an andere Tötungsorte gebracht und dort ermordet.

In Waldniel-Hostert gab es von 1940 bis 1943 – ausgerechnet im dem ehemaligen Schutzengelhaus der Franziskaner – eine Abteilung, in der behinderte Kinder getötet wurden. In einigen Fällen konnte man nach dem Krieg den Schwestern und Ärzten nachweisen, dass sie ihre kleinen Patienten ermordet hatten – mit dem Schlaf- und Betäubungsmittel Luminal. Mindestens 30 ermordete Kinder liegen hier begraben.

Der Friedhof der Euthanasie-Opfer in Waldniel-Hostert

Schon aus der Ferne ist die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt in Waldniel-Hostert zu sehen. Wer auf der Autobahn von Mönchengladbach Richtung Roermond fährt, sieht an der entsprechenden Ausfahrt das Türmchen auf der alten Anstaltskirche und mag sich über den Anblick eines vermeintlich idyllischen Ortes freuen. Doch dieser Eindruck täuscht. Aus der Nähe wirkt die Anlage verlassen. Nur selten öffnet sich der Eingang für eine Besichtigung. Öffentlich zugänglich ist ausschließlich der hinter der alten Anstalt gelegene kleine Friedhof. Schilder mit der Aufschrift: „Gedenkstätte“ weisen den Weg, der weit um das Gelände führt.

Wer ihnen folgt, landet auf einer hinteren Zufahrt zur ehemaligen Anstalt. Auf der linken Seite der Sackgasse befindet sich eine Hecke mit einem Eisentor. Das Gelände ist als Friedhof erkennbar, auch wenn keine einzelnen Grabstätten mehr auszumachen sind. Auf dem rechten Torpfeiler ist eine Bronzetafel angebracht. Sie bestätigt, dass es sich um den Anstaltsfriedhof handelt. Gleichzeitig aber erfährt der Besucher hier, dass er sich am Tatort eines ungeheuren Verbrechens befindet. In der Abteilung Waldniel-Hostert der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal wurden nachweislich mindestens 30 geistig behinderte Kinder ermordet. Weitere Patienten wurden hier und an anderen Orten Opfer des planmäßigen Tötens von geistig Behinderten und geistig Kranken während der Zeit des Nationalsozialismus. Dieser Mord an unheilbar Kranken ist auch unter der Bezeichnung Euthanasie oder NS-Euthanasie bekannt.

Das Tor lässt sich öffnen. Über die Rasenfläche kommt man zu einem Gedenkstein, der „den unschuldigen Opfern“ gewidmet ist. Ihm gegenüber steht eine Bank, auf der Sie zum Anhören des weiteren Textes Platz nehmen können.

Ursprünglich befand sich an dieser Stelle ein kleiner Friedhof der Franziskaner-Brüder, die in dem St. Josefsheim – so hieß die Anstalt von 1909 bis 1937 – lebten. Das St. Josefsheim in Waldniel-Hostert sollte man nicht mit dem St. Josefshaus in Mönchengladbach-Hardt verwechseln. Diese Verwechslung ist leicht, denn beide Einrichtungen liegen nicht allzu weit voneinander entfernt und in beiden widmeten sich katholische Orden der Pflege von Menschen mit Behinderungen.

Die Waldnieler Franziskaner waren 1909 von Bürgern aus der Umgebung regelrecht angeworben worden. Sie sahen in der Errichtung einer Anstaltskirche die einzige Möglichkeit, eine eigene Kirche ins Dorf zu bekommen. Der Kirchenbau wäre ihnen ansonsten verwehrt gewesen. Fast 30 Jahre lang lebten die Brüder in einer klösterlichen Gemeinschaft und betreuten die Behinderten. Wer konnte, arbeitete für den eigenen Unterhalt. Zu der Anstalt gehörten Wiesen und Felder, die gemeinsam bewirtschaftet wurden.

Die Situation änderte sich mit Beginn der NS-Diktatur. Schlagartig setzten die Nationalsozialisten ihre Sicht auf unheilbar Kranke und Behinderte durch: wer dauerhaft nicht in der Lage war, für sich und andere zu sorgen, schadete angeblich der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ und war von ihr abzusondern. In letzter Konsequenz führte dieses rassistische Denken zum Mord. Im Zeichen der neuen Politik wurden als erstes die Pflegesätze soweit gekürzt, dass die Patienten nicht mehr ausreichend betreut, mit Medikamenten versorgt, ja nicht einmal ausreichend ernährt werden konnten. Der kleine Friedhof der Franziskanerbrüder begann nun, sich mit gestorbenen Patienten zu füllen.

Zur deutschen Diktatur gehörte die Verfolgung der Kirchen. Nächstenliebe und Barmherzigkeit waren mit Rassismus und Nationalismus nicht vereinbar. Die Nationalsozialisten setzten die Franziskanerbrüder derart unter Druck, dass sie die Anstalt in Waldniel 1937 aufgeben mussten. Sie wurde nun der Provinzial-Verwaltung unterstellt. Damit unterlagen die Patienten nicht mehr barmherziger Fürsorge, sondern staatlicher Kontrolle. Die Konsequenzen lassen sich bis heute in den Friedhofsregistern nachlesen: die Zahl der Beerdigungen stieg sprunghaft an.

Besonders abstoßend ist, dass in Waldniel-Hostert geistig behinderte Kinder von Schwestern und Ärzten ermordet wurden. Dies wurde nach dem Krieg in einem Gerichtsverfahren nachgewiesen. Einer der verantwortlichen Ärzte, Hermann Wesse, wurde 1948 in Düsseldorf wegen der Morde in Waldniel-Hostert zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde 1966 entlassen.

Hier finden Sie den Sprechtext „Der Friedhof der Euthanasie-Opfer in Waldniel-Hostert“.

Sprecher: Wolfgang Reinke
Autorin: Dr. Ingrid Schupetta
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis der Autorin einzuholen.

Weiterlesen:
www.waldniel-hostert.de

Paul-Günter Schulte, Die Euthanasie in der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Johannistal, Abteilung Waldniel, insbesondere der dortigen Kinderfachabteilung, in: Linda Orth, Transportkinder, Düsseldorf 1989, S. 98–110.

Peter Zöhren, Nebenan – eine andere Welt, Waldniel-Hostert 1909 – 1945, Schwalmtal, 1988.

Der Friedhof der Euthanasie-Opfer
Eschenrath 8
41366 Schwalmtal
Öffnungszeit und Führungen: Der Friedhof ist durch ein nicht abgeschlossenes Eisentor zugänglich (drücken!). Es ist also nicht nötig, sich durch die Hecke zu drängen. Ein Vertreter der Kirchengemeinde St. Mariae Himmelfahrt Waldnieler Heide bietet gelegentlich Führungen an, die die ehemalige Anstaltskirche und die alte Anlage einschließen: kontakt(at)waldniel-hostert.de. Sie ist ansonsten für die Öffentlichkeit geschlossen.

Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Der Ort ist an Werktagen stündlich mit zwei Schnellbuslinien zu erreichen, ab Mönchengladbach SB 83, ab Viersen SB 88, Fahrzeit 20 Minuten, Haltestelle: Waldnieler Heide, Fußweg 10 Minuten.