Linden (NL)

Der Glockenraub

1942 verkündete Arthur Seyss-Inquart, deutscher Statthalter in den Niederlanden, eine so genannte Metallverordnung. Es mussten alle brauchbaren Metallgegenstände abgeliefert werden. Dazu gehörten ausdrücklich auch Kirchenglocken. Die Bronze der Glocken bestand nämlich aus derselben Mischung aus Zinn und Kupfer aus der auch Geschütze gemacht werden.

Der Limburger Bauunternehmer Peter Meulenberg wurde von den Behörden beauftragt, die Kirchenglocken aus den niederländischen Kirchtürmen zu holen. Schon bald bekam er den Spitznamen Glocken-Peter. Innerhalb eines Jahres holten er und seine vierhundert Mitarbeiter ungefähr 6.700 aus den Kirchtürmen heraus – dreiviertel alle niederländischen Glocken.

Auch die Kirche in Linden wurde eine Beute der Glockenräuber. Die Männer von Glocken-Peter holten am 18. Dezember 1942 die aus dem Jahr 1624 stammende Glocke aus dem Turm. Aber herausholen und abtransportieren waren zwei verschiedene Dinge. Denn nicht wenige andere Unternehmer mussten Glocken-Peter bei diesem Transport zur Hand gehen. So kam es, dass die Glocke noch fast zwei Monate in der Nähe der Kirche gestanden hat, bevor sie abtransportiert werden konnte.

In den meisten Orten in den südlichen Niederlanden war der Krieg Ende 1944 vorbei. So war es auch in Tilburg, wo eine ganze Reihe Glocken wiedergefunden werden konnte. Darunter war auch die Kirchenglocke von Linden. Der Bürgermeister eilte nach Tilburg und kam mit der Kirchenglocke zurück, so dass die Weihnacht 1944 mit der historischen Glocke eingeläutet werden konnte.

Insgesamt waren am Ende des Krieges noch gut 4.200 von den ursprünglich 9.000 Glocken übrig.

Und Glocken-Peter? Für ihn galt: “Wie met klokken schiet, wint de oorlog niet” – auf Deutsch “Wer mit Glocken schießt, gewinnt den Krieg nicht.

Der Glockenraub von Linden

Mit seinem so genannten Blitzkrieg hatte Hitler dafür gesorgt, dass Deutschland überall im besetzten Europa Zugang zu dringend benötigten Rohstoffen erhielt. Und doch reichten die neuen Quellen nicht, um die deutsche Kriegsindustrie mit ausreichend Material zu versorgen.

In den Niederlanden erließ der Reichskommissar Seyss-Inquart deswegen im Juni 1941 eine erste so genannte Metallverordnung. Sie verpflichtete alle Bürger, sämtliche Gegenstände, die aus Kupfer, Nickel, Zinn, Blei oder Legierungen aus diesen Metallen bestanden, abzuliefern. Wer dem nicht folgte, lief Gefahr, eine Geldstrafe zu bekommen, in schweren Fällen sogar eine Haftstrafe, die bis zu fünf Jahren betragen konnte.

Etwa ein Jahr später gab Seyss-Inquart eine zweite Metallverordnung bekannt, in der nun ausdrücklich auch die Kirchenglocken angefordert wurden. Die Bronze der Glocken besteht nämlich zu 78% aus Kupfer und zu 22% aus Zinn, dieselbe Mischung, aus der auch Geschützrohre gegossen werden.

Nun hatten die Niederlande auch schon früher mit Besetzungen zu tun gehabt. Dies war zwar schon ein paar Jahrhunderte her, aber dass Kirchenglocken durch den Feind geraubt werden, hatte man noch nicht vergessen. Deswegen hatte die Niederländische Regierung noch kurz vor dem Ausbruch des Krieges veranlasst, dass ein Verzeichnis aller Kirchenglocken aufgestellt wurde. Leiter der dazu notwendigen Arbeitsgruppe war Dr. Jan Kalf, Reichsbeauftragter für den Schutz und die Förderung des kulturellen Erbes, der Kunst und Wissenschaft.

Aus dem Verzeichnis geht hervor, dass in den Niederlanden ungefähr 9.000 Glocken vorhanden waren. Das Durchschnittsgewicht pro Stück lag bei fast 400 Kilogramm. In der Liste wurden besondere Glocken mit einem „M“ als Abkürzung für Monument, auf Deutsch Denkmal, gekennzeichnet. Man hoffte, dass diese Glocken im Falle einer Besetzung verschont werden würden.

Es fällt auf, dass die niederländische Regierung die Bedrohung durch die Deutschen generell erst sehr spät ernst nahm. Die konkreten Vorsichtsmaßnahmen gegen einen drohenden Glockenraub stehen dazu in einem merkwürdigen Gegensatz. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass die Niederländer die Aktionen der Deutschen gut beobachteten. So war in Den Haag bekannt, dass die ersten Glocken aus der besetzten Tschechoslowakei schon 1940 den Weg in eine Eisengießerei in Hamburg fanden.

Nach der zweiten Metallverordnung waren im Jahr 1942 die niederländischen Kirchenglocken an der Reihe. Um die große Aufgabe zu bewältigen, wurde der Limburger Unternehmer Peter J. Meulenberg eingeschaltet. Im Volksmund bekam er schnell den Spitznamen Klokken-Peter, auf Deutsch Glocken-Peter. Er benutzte den offiziellen Titel „Generalunternehmer des Sonderreferates Metallmobilisierung“.

Innerhalb eines Jahres holten er und seine 400 Mitarbeiter ungefähr 6.700 Glocken aus den niederländischen Kirchentürmen heraus. Das waren drei Viertel des Bestandes. In vielen Fällen wurden die auf der Liste mit M gekennzeichneten Glocken tatsächlich verschont. Und jedes Dorf durfte mindestens eine behalten, um im Notfall Alarm schlagen zu können.

Auch die Kirche hier in Linden wurde ein Opfer der Glockenräuber. Am 18. Dezember 1942 holten die Männer von Glocken-Peter unter heftigem Protest des Pastors Verbunt die aus dem Jahre 1642 stammende Kirchenglocke aus dem Kirchturm. Aber herausholen und abtransportieren waren zwei verschiedene Dinge. Denn nur wenige Unternehmer waren bereit, Glocken-Peter bei diesem Transport zu helfen. So kam es, dass die Glocke noch fast zwei Monate in der Nähe der Kirche stehen blieb, bis sie am 10. Februar 1943 abtransportiert wurde.

Die Reaktionen auf den Glockenraub waren unterschiedlich, aber die Niederländer erinnerten sich an ihr Sprichwort “Klokken uit de toren, oorlog verloren”, frei übersetzt Glocken aus den Türmen, Krieg nicht mehr zu führen. Mit anderen Worten: Wenn die Besatzer sogar die Bronze der Kirchenglocken brauchen, um den Krieg noch gewinnen zu können, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die deutsche Rüstungsindustrie zum Stillstand kommt. Und so war es auch. In den meisten Orten im Süden der Niederlande war der Krieg Ende 1944 vorbei. So auch in Tilburg, wo sich unverhofft einige Kirchenglocken wieder einfanden. Darunter war auch die Glocke aus dem Kirchturm von Linden. Der Bürgermeister machte sich auf den Weg nach Tilburg und kam mit der Kirchenglocke zurück. Mit dieser konnte dann die Heilige Nacht 1944 eingeläutet werden.

Bei einer Zählung im Jahre 1946 stellte sich heraus, dass von den 9.000 Glocken, die es zu Kriegsbeginn in den Niederlanden gegeben hatte, noch rund 4.200 übriggeblieben waren. Die verschwundenen Kirchenglocken waren entweder eingeschmolzen oder durch Beschuss beziehungsweise Bombentreffer unbrauchbar geworden. In ganz Europa wurden 91.000 Glocken geraubt. Davon wurden nach dem Krieg in Hamburg noch etwa 14.000 wiedergefunden. Die Gießereien waren mit ihrer Arbeit offenbar nicht nachgekommen.

Für die Glockengießereien in den Niederlanden brachen nach dem Krieg goldene Zeiten an. Es dauerte zehn Jahre, bis das ganze Land wieder mit Glocken ausgestattet war.

Und Glocken-Peter? Nachdem er während des Krieges sinnigerweise noch mit einer Bronzeglocke mit deutscher Inschrift belobigt worden war, wartete nach 1945 noch ein weiteres kleines Geschenk auf ihn: eine neunjährige Gefängnisstrafe wegen Kollaboration. Auch für ihn galt:
“Wie met klokken schiet, wint de oorlog niet“, auf Deutsch “Wer mit Glocken schießt, gewinnt den Krieg nicht. “

Hier finden Sie den Sprechtext „Der Glockenraub von Linden“.

Sprecher: Wolfgang Reinke
Autor: Erik van den Dungen
Übersetzerin: Dr. Ingrid Schupetta
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis des Autors einzuholen.

Der Glockenraub
H. Lambertuskerk, Kerkstraat 32
NL - 5439 ND Linden (Gemeinde Cuijk)
Öffnungszeit: Von Pfingsten bis zum 17. September kann die Kirche, in der sich einige bedeutende Kunstschätze befinden, tagsüber auch innen besichtigt werden.

Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Mit der Bahn kann man nach Cuijk fahren, von dort aus geht ein Arriva Bus der Linie 238 in Richtung Grave. Wenn man an der Haltestelle Rodevoort aussteigt, hat man noch eine halbe Stunde Fußmarsch vor sich – in nördlicher Richtung an der A 73 entlang. Man kann sich aber auch am Bahnhof Cuijk ein Fahrrad mieten.