Wesel

Die Reste der Eisenbahnbrücke

Bei Wesel führte seit 1874 eine Eisenbahnbrücke über den Rhein. Diese Brücke aus Stahl und Ziegelsteinen war fast zwei Kilometer lang. Für die damalige Zeit war sie ein technisches Meisterwerk. Ihren Bau verdankte sie militärischen Gründen: Truppen sollten aus dem Inneren des Deutschen Reiches möglichst schnell an den Niederrhein gebracht werden können.

Verkehrstechnisch wurde eine Eisenbahnbrücke zwischen Venlo und Hamburg nicht wirklich gebraucht. So wurde der Betrieb zwischen Venlo und Geldern mangels Fracht und Passagieren nach dem Ersten Weltkrieg eingestellt.

Wichtig wurde die Brücke im März 1945. Sie war eine der letzten Rückzugswege für die Reste der deutschen Truppen auf der linken Rheinseite. Zugleich war sie für die Alliierten ein wichtiges Ziel. Wäre die Brücke in ihre Hände gefallen, hätte sie die Rheinquerung erleichtert. Die Deutschen verhinderten dies. Sie sprengten das imposante Bauwerk am 10. März 1945.

Die Reste der Eisenbahnbrücke bei Wesel

Überquert man auf der Bundesstraße 58 die Niederrheinbrücke Wesel, so sieht man in Richtung Norden auf der linken Rheinseite im Vorland des Stroms eine Reihe von Pfeilern. Einen guten Blick haben Radfahrer und Fußgänger direkt von der Brücke. Autofahrer fahren besser weiter bis zum Brückenturm auf der rechten Rheinseite.

Dies sind Reste der einstmals nördlichsten Rheinbrücke. Sie wurde im März 1945 zerstört. Ehemals war diese Eisenbahnbrücke Teil der Bahnstrecke Hamburg-Venlo. Mit deren Bau hatte die Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft in den 1860er Jahren begonnen. Ursprünglich war geplant, die Linie durch das Ruhrgebiet zu führen. Die preußische Regierung bestand aber auf einer nördlicheren Strecke, die schließlich bei der militärisch damals wichtigen Festung Wesel den Rhein überqueren sollte.

In den Jahren 1872 bis 1874 wurde dort die zu ihrer Zeit mit 1.950 Metern längste Rheinbrücke aus Stahl und Ziegelsteinen errichtet. Rücksichtnahme auf militärische Belange erforderten bei Planung und Bau einige Besonderheiten. So durften keine Bahndämme errichtet werden, um freie Sicht für die Festung zu gewährleisten. Auch wurden zum Schutz der Brücke mehrere Verteidigungsanlagen errichtet. Das sogenannte Fort I ist auf der linken Rheinseite heute noch sichtbar.

Die Rentabilität der Strecke war von Anfang an gering. Die Anbindung an den überregionalen oder gar internationalen Zugverkehr war kaum gegeben. Zudem führte die Verbindung weitgehend durch dünnbesiedelte Gebiete. Nach der Verstaatlichung der Cöln-Mindener Eisenbahn wurde die Strecke von der Reichsbahn nach dem 1. Weltkrieg in eine Nebenbahn umgewandelt. Den Abschnitt Venlo-Geldern legt man sogar ganz still.

Verkehrstechnisch war sie zwar nun eher zweitrangig geworden. Dennoch spielte die Weseler Eisenbahnbrücke in den Kämpfen um den Niederrhein im Februar und März 1945 eine wichtige Rolle.

Am 8. Februar 1945 starteten britisch-kanadische Truppen die Operation „Veritable“. Von Nimwegen aus kämpften sie sich über Kleve, Kalkar und Goch in Richtung Süden vor. Am 23. Februar begannen die Amerikaner mit der Operation „Grenade“. Aus dem Raum Aachen kommend, wollten sie schließlich mit Briten und Kanadiern im Raum Moers zusammentreffen. Ziel war es, nach der Eroberung der linken Rheinseite über den Fluss zu setzen, nördlich des Ruhrgebiets zwischen Wesel und Emmerich einen Brückenkopf zu bilden und von dort aus in Richtung Berlin vorzustoßen.

Trotz heftiger deutscher Gegenwehr, vor allem am nördlichen Niederrhein, gelang es den Alliierten relativ zügig, ihre Ziele zu erreichen. Am 5. März standen kanadische Truppen unweit von Xanten. Die Amerikaner eroberten am 6. März Rheinberg. Den Deutschen blieb lediglich ein kleiner Brückenkopf gegenüber von Wesel, der von der 1. Fallschirmarmee verteidigt wurde. Hitler hatte jeden Rückzug auf die rechte Rheinseite strikt untersagt. Erst als der Oberbefehlshaber General Schlemm einen Generalstabsoffizier aus dem Führerhauptquartier angefordert hatte, der sich vor Ort ein Bild von der Lage machte, durfte geräumt werden.

Die einzige feste Verbindung zwischen linkem und rechtem Rheinufer war zu diesem Zeitpunkt die Weseler Eisenbahnbrücke. Die benachbarte Rheinbabenbrücke, die dem Straßenverkehr gedient hatte, war bei einem Luftangriff zerstört worden. Nun zogen sich die die deutschen Truppen über die Eisenbahnbrücke zurück. Versuche der Alliierten, sie aus der Luft zu zerstören, schlugen fehl. Schuld war das schlechte Wetter. Da die Lage immer bedrohlicher wurde, sprengten die Deutschen am Abend des 10. März die Brücke selbst in die Luft. Circa 300 Soldaten konnten sich nicht mehr absetzen und blieben auf dem linken Rheinufer zurück. Sie gerieten am nächsten Tag in Gefangenschaft.

In den folgenden Wochen bereiteten die Alliierten alles darauf vor, den Rhein zu überqueren. Oberbefehlshaber Feldmarschall Montgomery zog hierfür rund 250 000 Soldaten zusammen, hinzu kamen große Mengen an Kriegsmaterial. Auf der anderen Seite stand hauptsächlich die 1. Fallschirmarmee, 100 000 Soldaten mit sehr unterschiedlicher Kampferfahrung und Ausrüstung.

Wesel war unterdessen zur „Festung“ erklärt worden. Der „Kampfkommandant“, Generalmajor Deutsch, verfügte aber nur über eine sehr gemischte Truppe, deren Kern hauptsächlich aus Flakeinheiten bestand.

Als die britischen Einheiten am Spätnachmittag des 23. März zur Rheinüberquerung ansetzten, trafen sie nach ihrer Landung bei Wesel nur auf geringen Widerstand. Die Stadt selbst glich einer Wüstenlandschaft. Vier schwere Luftangriffe und ein mehrstündiges Artillerietrommelfeuer hatten Wesel, wie es in der amerikanischen Zeitschrift „Life“ damals hieß, „pulverisiert“. Zum Glück war der größte Teil der Bevölkerung rechtzeitig evakuiert worden.

Während an anderen Orten der rechten Rheinseite noch tagelang heftig gekämpft wurde, war Wesel am Morgen des 24. März weitgehend erobert. Generalmajor Deutsch war in seinem Gefechtsstand ums Leben gekommen. Die Entscheidung brachte dann die größte Luftlandeaktion der Alliierten während des 2. Weltkrieges. Über 14 000 Soldaten wurden zwischen Hamminkeln und Brünen abgesetzt. Nachdem sie die Verbindung mit den über den Rhein gekommenen Truppen aufgenommen hatten, gelang es schnell, den Brückenkopf weit in das rechtsrheinische Hinterland auszudehnen.

Der britische Premierminister Winston Churchill war extra an den Niederrhein gekommen, um die Militäraktionen zu beobachten. Am 25. März konnte er zufrieden nach London zurückkehren. Die Alliierten hatten am rechten Rheinufer Fuß gefasst, eine der wichtigsten Hürden auf dem Vormarsch nach Berlin war genommen.

Hier finden Sie den Sprechtext „Die Reste der Eisenbahnbrücke bei Wesel“.

Sprecher: Wolfgang Reinke
Autor: Burkhard Ostrowski
Dieser Text darf zu privaten Zwecken gerne kopiert werden. Zur Veröffentlichung an anderer Stelle ist das Einverständnis des Autors einzuholen.

Weiterlesen:
Alexander Berkel, Krieg vor der eigenen Haustür. Rheinübergang und Luftlandung am Niederrhein 1945 [= Studien und Quellen zur Geschichte Wesels; 17], Wesel 1994

Die Reste der Eisenbahnbrücke
Rheinpromenade/ Fischertorstraße (Nähe Hausnummer 3) bzw. Straßenbrücke Wesel (Niederrheinbrücke)
46483 Wesel
Öffnungszeit: Die Reste der Brücke stehen im öffentlichen Raum und sind jederzeit anzusehen.

Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Vom Bahnhof Wesel sind es 30 Minuten Fußweg zur Rheinpromenade. Die Strecke lässt sich mit den Bus-Linien SB 6, 37, 67, 68, 83 bis "Großer Markt" um 15 Minuten abkürzen. Der Verein Historischer Schienenverkehr Wesel bietet in den Sommermonaten Fahrten mit historischen Fahrzeugen an, www.hsw-wesel.de