Issum

Ehemalige Synagoge

In Issum gab es um 1850 eine jüdische Gemeinschaft mit etwa 40 Mitgliedern. Sie besaß einen eigenen Friedhof außerhalb des Ortes. Gottesdienst feierte die Gemeinde in einer Scheune. Sie lag hinter einem Vorderhaus an der Kapellener Straße. 1855 konnten die Juden von Issum das Grundstück kaufen. Bis 1865 bauten sie den Notbehelf zu einer richtigen kleinen Synagoge mit angrenzender Mikwe aus – eine Mikwe ist ein jüdisches Bad zur sinnbildlichen Reinigung des Körpers. Später kam ein Schulhaus mit einem Schulraum und einer Lehrerwohnung hinzu.

Die Schule wurde 1869 eröffnet. Es gab aber bald schon Probleme, weil viele Juden aus Issum in die größeren Städte abwanderten und es nicht mehr genug jüdische Kinder in Issum gab. Auch die Synagoge konnte nicht auf Dauer existieren, weil die Gemeinde immer weiter schrumpfte. Das Gebäude fiel schließlich an die jüdische Gemeinde in Geldern, die es 1935 verkaufte. Die wenigen Juden, die nach 1939 noch in Issum wohnten, wurden deportiert und ermordet.
Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz und beherbergt ein kleines Museum.

Die Geschichte hinter der Synagoge in Issum

Das alte jüdische Gemeindezentrum in Issum ist vor einigen Jahren als Erinnerungsort für das Landjudentum am Niederrhein eingerichtet worden. Es lohnt sich, zur Öffnungszeit zu kommen oder einen Extra-Besichtigungstermin für die Innenräume zu vereinbaren.

Ansonsten ist die Gebäudefolge mit Schule und Synagoge nur von außen anzusehen. Sie schließt sich an ein Wohnhaus an der Kapellener Straße an. Das zweistöckige, weißgestrichene Haus links war die Schule. Oben unter dem Dach wohnte der Lehrer in einer kleinen 2-Zimmerwohnung. Er hieß Jacob Meyersohn und war Junggeselle. Unter der Lehrerwohnung war der Klassenraum. Auch er wirkt überraschend klein. Als die Schule 1869 eröffnet wurde, lernten hier 19 jüdische Schülerinnen und Schüler. Unterrichtsfächer waren Hebräisch und Religion, aber auch Rechnen, Schreiben, Lesen und Sport.

Im Keller des Schulgebäudes befand sich ein jüdisches Bad – eine Mikwe. Neben dem Ort für die dauerhafte Totenruhe und dem Ort für das regelmäßige gemeinsame Gebet, ist die Mikwe die dritte Vorraussetzung dafür, dass sich jüdisches Leben dauerhaft entfalten kann.

In der jüdischen Religion spielen Vorstellungen von Reinheit und Unreinheit von Menschen oder Gegenständen eine große Rolle. Jemand, der unrein ist oder gesündigt hat, kann nur durch das Bad in der Mikwe wieder rein werden. Auch Gegenstände wie Teller und Messer, die entgegen den jüdischen Speisevorschriften mit Fleisch und Milch in Berührung gekommen sind, müssen in der Mikwe gesäubert werden. Für religiöse Juden ist die Nähe einer Mikwe unbedingt notwendig.

Es ist außerdem wichtig, dass es in der Mikwe lebendiges, fließendes Wasser gibt. Man muss darin komplett untertauchen können. Im Idealfall gibt es eine Verbindung zum Grundwasser, deswegen sind Mikwen mitunter tief in die Erde gegraben. An der Kapellener Straße musste man sich nicht anstrengen. Direkt hinter den Gärten fließt die Fleuth und als diese noch nicht begradigt war, stieß man praktisch beim ersten Spatenstich auf Wasser. Vielleicht war die Nähe zu dem Flüsschen sogar einer der Gründe, warum die jüdische Gemeinde sich gerade dieses handtuchschmale Grundstück ausgesucht hatte.

Der niedrigere Bau hinter der Schule war die Synagoge. In einem kleinen Vorraum schieden sich die Geschlechter. Die Frauen gingen eine steile Treppe zu einer Empore hinauf. Sie war mit einem zusätzlichen Sichtschutz vom Geschehen im Parterre abgetrennt. Die Männer trafen sich unten zum Gebet. Die Thorarollen waren wahrscheinlich in einem Schrein an der östlichen Wand zwischen den Fenstern untergebracht. Der Schrein ist aber nicht mehr erhalten.
Was war das nun für eine Gemeinde, die sich um 1850 entschloss, dieses Bauprojekt zu wagen?

Juden in Issum hat es mindestens seit 1764 gegeben. Die Gegend um Issum gehörte damals zu Brandenburg-Preußen. Weder jüdische noch andere Bürger hatten ein Recht, ihren Wohnsitz frei zu wählen. Das änderte sich erst nach der französischen Revolution, als Issum für wenige Jahre zu Frankreich gehörte. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit galten ohne Ansehen der Religion.
Die jüdische Gemeinde wuchs. 1834 richtete sie einen Friedhof ein. Die etwa 50 Issumer Juden wollten dann auch eine Synagoge und eine Schule haben. Und so kam es zu dem Neu- bzw. Umbau. Bald zeigte sich jedoch, dass sie zu optimistisch gewesen waren. Weil viele Juden in die Städte abwanderten, gingen der kleinen Schule schon zehn Jahre nach der Gründung die Schüler aus und sie musste wieder geschlossen werden.

Um 1900 fiel das Synagogengebäude an die größere Gemeinde in Geldern. Weitere 30 Jahre später gab es in Issum nicht mehr die erforderliche Zahl von zehn jüdischen Männern für einen Gottesdienst. Nur noch ein knappes Dutzend Issumer Juden erlebten, dass die Gelderner Gemeinde die Synagoge 1935 verkaufte. Die wenigen, die 1939 noch vor Ort waren, wurden in den Kriegsjahren fast alle deportiert und ermordet. Überleben war nur unter ganz besonderen Umständen möglich. Das Erlöschen der Gemeinde in Issum ist typisch für das Schicksal der vielen kleinen jüdischen Gemeinden am Niederrhein.

Dass in Issum – im Gegensatz zu fast allen anderen umliegenden Orten – die Synagoge stehen blieb, lag daran, dass das Haus im November 1938 nicht mehr in jüdischem Besitz war. Deswegen wurde es während des Pogroms nicht zerstört. Auch in den Jahren danach wurden die Gebäude des ehemaligen Gemeindezentrums nur wenig verändert.


Sprecher: Wolfgang Reinke
Autorin: Dr. Ingrid Schupetta
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Ehemalige Synagoge
Kapellener Straße 30a
47661 Issum
Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Die Anbindung an den Bahnhof in Geldern (10km) durch die Buslinien 32 und 67 ist wochentags eher schlecht, da an den Bedürfnissen des Schulverkehrs orientiert. Sonntags fährt der Bus zwischen Geldern und Moers allerdings im Stundentakt. Von der zentralen Haltestelle am Vogt-von-Belle-Platz sind es ca. fünf Minuten Fußweg in Richtung Rathaus und dann an der Skulptur rechts in die Kapellener Straße.